
Einen Schatz direkt am Ufer des silbern glänzenden Tollensesee wird man in Gatsch Eck momentan eher nicht mehr finden. Der einige Jahre direkt an den Bootsstegen versteckte Geocache mit der Bezeichnung GC63PN1 ist im September 2017 aufgegeben worden. Doch am Campingplatz warten noch zwei weitere solcher Schätze auf die GPS-gesteuerten Schnitzteljäger.
Den Beschreibungen zweier für die satellitengesteuerten Jäger versteckten Trophäen ist zu entnehmen, dass der Campingplatz 1960 angelegt worden sein soll.
Mit einer Halbinsel in dem Neubrandenburg gehörenden Tollensesee ist der Platz gut gewählt. Jungfräulich war die Nutzung aber vor gut 60 Jahren nicht. Der Platz spielte schon in slawischer Zeit eine nicht ganz unbedeutende Rolle.
Der 2008 verstorbene polnische Archäologe Witold Hensel spricht in einem 1975 veröffentlichten Beitrag im „Slavia Antiqua“, einem seit 1948 erscheinenden Jahrbuch der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań, von einer „Abschnittsbefestigung, die es auf der Halbinsel Gatsch Eck gegeben haben soll. Dabei bezieht er sich auf den 2010 verstorbenen Prähistoriker Professor Joachim Hermann. Der Direktor des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der DDR-Akademie der Wissenschaften war 1971 mit der Hypothese an die Öffentlichkeit getreten, dass das seit Jahrhunderten gesuchte Hauptheiligtum der Slawen, die Tempelburg Rethra, sich am Westufer des Tollensesees in Gatsch Eck befunden habe.
Herrmann entwickelt dabei eine schlüssig klingende Argumentation, nach der die zeitlich versetzt schreibenden Chronisten Thietmar von Merseburg (976-1018) und Adam von Bremen (ca. 1050-1081/85) nicht widersprüchliche Berichte über Rethra geschrieben haben, sondern die jeweils vorhandene Situation zu ihrer Zeit beschrieben hätten. In Gatsch Eck vermutet Herrmann das „Alt-Rethra“ (Riedegost) Thietmars, auf der Fischerinsel, von der keine entsprechend alten Funde vorliegen, hätte sich demnach das „Neu-Rethra“ Adams von Bremen befunden.
Damit wäre Gatsch Eck einer von mehr als 30 Orten, an denen Rethra bislang vermutet wurde. Finden ließ sich der Mystische Ort bis heute nicht. Aber die Suche konzentriert sich inzwischen auf das Südende des Tollensesees inklusive Fischerinsel und das angrenzende Gebiet der Lieps. Damit wäre Gatsch Eck noch nicht aus dem Rennen. Und wer weiß, vielleicht macht der Campingplatz am Tollensesee 2030 von sich reden, sollten sich die Betreiber entschließen, den 700. Jahrestag der ersten urkundlichen Erwähnung von Gatsch Eck feiern zu wollen.
Am 10. Juli 1330, also gut 200 Jahre nach der mutmaßlichen Zerstörung Rethras, bezeugte Heinrich Holstein, Vogt von Penzlin, in einer in der dortigen Marienkirche ausgestellten Urkunde den Abschluss eines Vergleichs zwischen dem Kloster Broda und den Slawen aus Jatzeke über die Erbschaftsansprüche der Letzteren an dem Hof Jazke, der wohl auf der heute zu Neuendorf gelegenen Feldmark lag. Dafür spricht zum Beispiel der Eintrag „Gatscher Damm“ auf dem 1885 herausgegebenen Messtischblatt von Neubrandenburg, an dem 1943 die letzte Änderung vorgenommen wurde, oder im 19. Jahrhundert noch gebräuchliche Flurnamen wie „Jatsch“ oder „Jatscher Ecken“, die heute „Gatscher Weg“ bzw. „Gatsch Eck“ heißen.
Wer sich die Mühe macht, das lateinisch verfasste Dokument ins Deutsche zu übersetzen, erfährt die Namen von acht Slawen aus besagtem Jatzeke: der lange Janekinus, der lange Nikolaus, Lemmekinus und Hincekius, Dietrich, Konrad von Lypa, Tessekinus Kucker und Dietrich Jermiz. Ob Dietrich aber in Jatzeke wohnte oder in welcher Beziehung er sonst zu dem Ort stand, ist unbekannt. In der Urkunde wird angegeben, dass er „in Vridorp“, also Freidorf, lebte. Das ist heute ein Ortsteil der Gemeinde Möllenhagen. Damals war Vridorp das älteste Slawendorf im Havelquellgebiet. Seit 1240 wurde es in Urkunden genannt.
Die in der Urkunde von 1330 genannten Slawen, einige tragen bereits deutsche Namen, verzichteten zu Gunsten des Klosters Broda gegenüber dessen Propst auf ihren bestehenden Erbanspruch am Hof Jazke. Das Kloster gab dafür 45 Mark. Damals war die Mark ein Edelmetall und Münzgewicht. Traditionell galt die Mark als halbes Pfund, die im deutschen Sprachraum bedeutsame Kölner Mark entsprach etwa 234 Gramm. Der Anspruch auf Gatsch Eck wechselte 1330 also für rund 10,5 Kilogramm Silber den Besitzer. Die Kaufkraft würde heute etwa 16.200 Euro entsprechen.
Am 20. März 1336 verglich sich Heinrich von Schmachtenhagen mit dem Kloster Broda wegen des Hofes Jatzke (Jeceke). „Welcher Art die verglichene Differenz war und wie sie beigelegt wurde, geht aus der Urkunde nicht hervor“, so Franz Boll in seiner „Chronik der Vorderstadt Neubrandenburg“.
Wenn die acht 1330 namentlich genannten Slawen auf ihren Erbanspruch verzichteten, und das mögliche Erbe als „Hof Jatzke“ genau beschrieben ist, dann liegt die Vermutung nahe, dass die Bezeichnungen „aus Jatzeke“ und „Hof Jatzke“ auf den gleichen Platz bzw. Ort verweisen. Interpretiert man die Aussage des polnischen Archäologen Hensel von einer „Abschnittsbefestigung“ neu, könnte es sich beim Hof Jatzke um einen befestigten Hof einer slawischen Adelsfamilie gehandelt haben, der mehrere Häuser umfasste und so verschiedenen Familien Schutz bot.
Der Historiker und Archivar Dr. Paul Steinmann geht in seinem 1936 in den Mecklenburgischen Jahrbüchern veröffentlichten Aufsatz „Volksdialekt und Schriftsprache in Mecklenburg, Aufnahme der hochdeutschen Schriftsprache im 15./16. Jahrhundert“ davon aus, dass Jaceke/Jatzke 1560 zur Wüstung wurde.
Der Neubrandenburger Gymnasiallehrer Paul Kühnel deutet 1881 den Namen „Jatzke“ in einem umfassenden Aufsatz über slawische Ortsnamen als „Besitzer Jačik“. Beleg für seine These eines slawischstämmigen Adelsbesitzes könnte auch das Dorf Jatzke sein, das fünf Kilometer westlich der alten Landstraße von Neubrandenburg nach Friedland liegt. Für dieses Dorf ist eine slawische Niederungsburg nachgewiesen, die zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert und noch einmal vom 11. bis 12. Jahrhundert besiedelt war und eine Ausdehnung von 1,5 Hektar hatte.
Die Sprachwissenschaftler Ernst Eichler, ein 2012 verstorbener Nestor der slawischen Namenskunde, und sein Kollege Werner Mühlner bringen den Namen „Jatzke“ in ihrem Buch über slawische Ortsnamen in Norddeutschland mit dem Ort Jatznick bei Pasewalk (1490 Jatzenik) in Verbindung und leiten ihn aus der altpolabischen Sprache her: Jasenik – jasen – Esche.
Und auch diese Namensdeutung wäre denkbar. Eschen waren mit Sicherheit eine häufig vorkommende Baumart in einem den Tollensesee umschließenden Buchenwald. Gatsch Eck und Buchort trennen kaum zwei Kilometern.