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Kaisers Liebling und Bismarcks Feind

Riergut Nassenheidebei Stettin. Hier wurde Harry von Arnim verhaftet.
Riergut Nassenheidebei Stettin. Hier wurde Harry von Arnim verhaftet.
Elisabeth von Prillwiz, Arnims Frau
Elisabeth von Prillwiz, Arnims Frau

Die strafrechtliche Literatur Deutschlands spricht sich für die Aufhebung des Paragraphen 353a des Strafgesetzbuches aus Gründen seiner fragwürdigen Herkunft und seiner mangelnden Praxisrelevanz aus. Seit Bestehen der Bundesrepublik ist noch kein einziges Urteil auf seiner Grundlage gefällt worden. Am 25. Februar 1876 wurde der Paragraph in das Gesetzbuch aufgenommen und 1946 mit dem 11. Kontrollratsgesetz aufgehoben, da an eine eigenständige Außenpolitik durch ein besetztes Deutschland nicht zu denken war. 1951 setzte man ihn dann wieder in Kraft, weil sich in der erstarkenden Bonner Republik die Meinung durchsetzte, nicht auf eine entsprechende Strafandrohung verzichten zu können. 1969 ersetzte man das Wort „Gefängnis“ durch „Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren“. Und 1974 strich der Gesetzgeber das Wort“ vorsätzlich“.

 

Zurückzuführen ist der „Arnim-Paragraph“, der  sich auf den Straftatbestand des Vertrauensbruches  im auswärtigen Dienst bezieht, auf Harry Curt Eduard Carl von Arnim-Suckow.  1824 in Moitzelfitz (Mysłowice), in der Nähe von Kolberg (Kolobrzeg) in Pommern geboren, wurde Harry von Arnim 1870 nach dem Recht der Erstgeburt in den Grafenstand erhoben, wobei der König die Verleihung des Titels an den Besitz der uckermärkischen Lehngüter Golm (900 Hektar) und Güstow (500 Hektar) band. Beide hatte Arnim kurz zuvor geerbt. Bemerkenswert ist, dass Harry von Arnim, obwohl er diesen Gütern offiziell seinen Grafentitel verdankte, sie niemals selbst bewirtschaftet hat.

 

Schaut man auf die Familienverhältnisse, wird der wahre Grund für seinen gesellschaftlichen Aufstieg deutlicher. Harry, der 1845 bereits im Alter von 19 Jahren zum Doktor beider Rechte promovierte, heiratete 1846 Elisabeth von Prillwitz, eine uneheliche Tochter des Prinzen August von Preußen und dessen bürgerlicher Geliebten Marie Auguste Ahrend, die mit dem Namen „von Prillwitz“ in den preußischen Adelsstand erhoben worden war. Diese Ehe öffnete dem intelligenten und ambitionierten, aber auch intriganten und arroganten Gatten schneller die Türen in hohe und höchste gesellschaftliche Kreise, zumal beide das Wohlwollen des Königs Wilhelm und der Königin Augusta besaßen, das Harry von Arnim auch noch nach dem Tod Elisabeths behielt.

 

1850 in den diplomatischen Dienst getreten, machte Arnim zügig Karriere und wurde 1860, inzwischen Legationsrat, königlicher Kammerherr. Ab 1862, seit 1857 in zweiter Ehe mit Sophie Gräfin von Arnim-Boitzenburg verheiratet, Gesandter in Lissabon, dann in Kassel und München, wurde er 1864 zum preußischen und ab 1868 auch zum norddeutschen Gesandten beim päpstlichen Stuhl in Rom berufen. Hier unterstützte er während des 1. Vatikanischen Konzils 1869/1870 die Position der deutschen Bischöfe in ihrer Ablehnung des Dogmas der Unfehlbarkeit des Papstes. Noch in Rom, wurde Harry von Arnim 1871 mit den Verhandlungen zum deutsch-französischen Frieden  beauftragt. Der in Frankfurt/Main unterzeichnete Vertrag, der neben Bismarcks auch die Unterschrift Arnims trägt, brachte Preußen die Kaiserkrone und Harry von Arnim die Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rat, verbunden mit der Anrede Exzellenz, sowie die Ernennung zum ersten kaiserlichen Botschafter in Paris. Doch statt Reichskanzler Bismarck zu folgen, betrieb Arnim eine eigene Politik. Er war der Auffassung, Botschafter des Kaisers und nicht des Kanzlers zu sein, obwohl er selbst als Kanzlerkandidat gehandelt wurde. Bismarck bekämpfte Arnim und erreichte, dass der Kaiser ihn 1874 als Botschafter abberief. Der neue Botschafter stellte fest, dass in Paris bestimmte Akten nicht auffindbar seien. 86 Stücke wurden vermisst. Auf Betreiben Bismarcks wurde ein Strafverfahren eingeleitet, im Zuge dessen man Arnim nach einer Hausdurchsuchung auf seinem Gut in Nassenheide bei Stettin verhaftete.

 

Gegen die damals ungeheure Kautionssumme von 100.000 Talern kam Arnim, deutlich im Ruf beschädigt, wieder frei. Im folgenden Strafprozess wurde er zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Da beide Seiten mit dem Urteil nicht zufrieden waren, wurde weiter prozessiert. In einem neuen Strafprozess wurde Arnim in Abwesenheit u.a. wegen Landesverrats und Majestätsbeleidigung, zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Dazu musste er, schwer von der Zuckerkrankheit gezeichnet, sein weiteres Leben im Ausland leben.

 

Durch die Adelsgesellschaft ging, wie auch durch die Arnim-Familie selbst, ein Riss. Während Harrys Schwager Hermann Graf von Arnim-Boitzenburg in der Zeitung „Reichsglocke“ Partei er- und Bismarck angriff, sich dafür zu vier Wochen Gefängnis verurteilen ließ und aus freien Stücken die eigene diplomatische Laufbahn beendete, sein Schwager Adolf Graf von Arnim-Boitzenburg, seinen Rücktritt als Oberpräsident der Provinz Schlesien einreichte, schwieg ein anderer prominentes Familienmitglied.  Oskar von Arnim -Kröchlendorff hatte 1844 Bismarcks einzige Schwester Malwine geheiratet und war ein Reichstagsabgeordneter der bismarckfreundlichen Reichs- und Freikonservativen Partei.

 

Theodor Fontane erinnerte in seinen 1888 erschienenen Roman „Irrungen und Wirrungen“, an den langen Nachklang der Affäre:  „Ist es nicht so, dass man sich als ein Märkischer von Adel aus reiner Edelmannsempörung einen Hochverratsprozess auf den Leib reden möchte? Solchen Mann [… ]aus unser besten Familie […], vornehmer als die Bismarcks, und so viele für Thron und Hohenzollerntum gefallen, dass man eine ganze Leibkompanie daraus formieren könnte, Leibkompanie mit Blechmützen, und der Boitzenburger kommandiert sie. Ja, meine Herren. Und solcher Familie solchen Affront. Und warum? Unterschlagung, Indiskretion, Buch von Amtsgeheimnis. Ich bitte Sie, fehlt nur noch Kindsmord und Vergehen gegen die Sittlichkeit, und wahrhaftig, es bleibt verwunderlich genug, dass nicht das auch noch herausgedrückt worden ist.“

 

Bismarck ging es bei der Auseinandersetzung mit Harry von Arnim nicht nur um persönliche Rache, sondern vor allem um die Statuierung eines Exempels. Seine Untergebenen hatten zu gehorchen und keine eigenen Wege zu gehen.

 

Am 19. Mai 1881 starb Harry von Arnim, der nie den Kampf um seine Rehabilitierung aufgegeben hatte, 56-jährig in Nizza.