· 

Komm, süßer Tod!

Professor Dr. Otto Albert Robert Rostoski
Professor Dr. Otto Albert Robert Rostoski

Wendemark. Den „süßen Tod“ den Johann Sebastian Bach in einem Kirchenlied rief, „wie ich der Welt bin müde“, den fanden Diabetiker während der Lebenszeit des Komponisten in der Regel nicht. Fast alle starben unweigerlich innerhalb kürzester Zeit nach Krankheitsbeginn. Nur das Durchhalten einer anhaltenden Unterernährung ermöglichte den Erkrankten ein Leben, das ein bis zwei Jahre länger währte.

 

Das war noch vor hundert Jahren so. Die Medizin kannte Diabetes mellitus schon seit der Antike, seit der griechische Arzt Aretaios um 100 in seinem Kompendium der Heilkunde die „rätselhafte Krankheit“ als ein „furchtbares Leiden“ beschrieb: „Das Leben ist kurz, unangenehm und schmerzvoll, der Durst unstillbar (…) und der Tod unausweichlich.“ Erst Mitte des 19. Jahrhunderts vermuteten Forscher einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und der fehlenden Produktion eines Hormons der Bauspeicheldrüse zur Regulierung des Zuckerhaushaltes. Doch es sollten noch Jahrzehnte vergehen, bis zwei Wissenschaftler der Universität Toronto 1922 die Entdeckung des Insulins als Heilmittel bekannt gaben und die erste Insulin-Therapie an einem nur noch 12,5 Kilo schweren Jungen begannen. Nach wenigen Monaten war er völlig genesen und wurde ein „fat boy“, wie er an Fredrick Banting, schrieb, der 1923 mit seinem Institutsleiter John James Richard Macleod für seine epochale Entdeckung den Nobelpreis erhielt.  Dabei schmückten sie sich allerdings mit fremdem Federn, denn bereits 1916 hatte der rumänische Professor Nicolae Paulescu mit „Pankrein“ das Hormon entdeckt, dass heute Insulin heißt. 1921 veröffentlichte der seine Erkenntnisse in einem französischen Fachblatt und 1922 meldete er einen Monat, bevor die Männer aus Toronto mit ihrer „Entdeckung“ an die Öffentlichkeit gingen, in Bukarest ein Patent auf die industrielle Herstellung des Medikaments an. Waren es wirklich „lausige Französischkenntnisse“  oder eine „schlechte Übersetzung“, die später als Entschuldigung angeführt wurden?

 

Wie dem auch war, in der medizinischen Welt fielen die bahnbrechenden Erkenntnisse der Kanadier (und des Rumänen) auf einen fruchtbaren Boden.

 

1924, nur drei Jahre nach der Entdeckung des Insulins, öffnete der 1872 im uckermärkischen Dörfchen Wendemark als Sohn des dortigen Domänenpächters geborene Professor Dr. Otto Albert Robert Rostoski die europaweit, vermutlich sogar weltweit, erste Diabetikerambulanz. „In der Erkenntnis, dass Verschlechterungen und Besserungen der Stoffwechsellage des Diabetikers nicht selten sind und auch ziemlich schnell auftreten können, habe ich zur Durchführung einer ständigen Kontrolle […] ein Ambulatorium für Zuckerkranken eingerichtet, dem 1927 eine eigene Diabetikerstation folgte. […] Es scheint zweckmäßig, dass das Ambulatorium, dass der Kranke regelmäßig aufsucht, an die Klinik, in die er nötigenfalls aufgenommen werden muss, angeschlossen ist, damit er in der Betreuung desselben ärztlichen und Pflegepersonals bleibt.“ Rostoski war zu dem Zeitpunkt bereits seit 14 Jahren leitender Oberarzt der Inneren Abteilung am Stadtkrankenhaus Dresden-Johannstadt, dem heutigen Universitätsklinikum, wo er bereits eine hydrotherapeutische Station ausgebaut und 1915 den Grundstein für eine damals hochmoderne Röntgenstation gelegt hatte. Otto Rostoski, der auch an der Entwicklung verschiedener Antidiabetika beteiligt war, gilt aber nicht nur als ein Vorreiter der Diabetes-Therapie, sondern auch als Lungenkrebsforscher, der die Entwicklung der Inneren Medizin in Deutschland entscheidend mitgeprägt hat.

 

Als die Nazis 1934 aus Dresdens Johannstädter Klinikum ein Zentrum für „Neue Deutsche Heilkunde“ machen wollten, stand ihnen der weltweit anerkannte 61-jährige Professor im Weg. Otto Rostoski wurde kurzerhand entlassen. Des hielt ihn aber nicht davon ab, eine zufällig freiwerdende Stelle am Stadtkrankenhaus Dresden Friedrichstadt zu übernehmen und dort bis zu seiner Pensionierung 1938 seine Diabetes-Ambulanz fortzuführen. 1946 wurde er wieder Chefarzt in Friedrichstadt und leitete bis 1956 noch einmal für zehn Jahre die Diabetikerambulanz.

 

Der Mediziner mit Weltruhm, der 1962 starb und auf dem Weißen Hirsch in der Elbmetropole begraben wurde, ist nicht aus dem Gedächtnis verschwunden. In Sachsens Hauptstadt erinnert ein jährlich vergebener Preis des Tumorzentrums, das seinen Namen trägt, an den Mediziner. Und in seinem Geburtsort, steht seit 2002 ein Gedenkstein vor dem Gutshaus, in dem die Familie Rostoski neun Jahre lebte, bevor der Vater Otto Paul Victor Bankrott ging. Otto Rostoski erinnerte sich übrigens lebhaft an seine Kindheit in Wendemark, an ein Mädchen namens Karline Knaack aus einem der Arbeiterhäuser mit der er in Ermangelung andere Kinder – die Brüder waren noch zu klein – zusammenkam, an ein Ziegengespann, das er geschenkt bekam, seine Schulzeit und seinen imaginären Freund Hans Eppin, dem er zu den Mahlzeiten immer einen Stuhl neben dem seinen an den Tisch stellte.