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Goebbels uckermärkischer Vorgänger

Ernst Schlange, ein "Parteigeneral" Hitlers, zweimaliger Gauleiter der NSDAP
Ernst Schlange, ein "Parteigeneral" Hitlers, zweimaliger Gauleiter der NSDAP

Der damals 26-jährige Reichsjugendführer Baldur von Schirach, der nach dem Krieg zu den in Nürnberg angeklagten Hauptkriegsverbrechern gehörte, sah bei Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 im Uckermärker Ernst Schlange einen der wichtigsten Wegbereiter. Zusammen mit 123 weiteren führenden Mitgliedern der NSDAP wählte er ihn für ein Porträt in seinem Buch „Die Pioniere des dritten Reiches“ aus. Für Preise bis zu 320 Euro werden Ausgaben des Machwerks noch heute antiquarisch gehandelt, wobei es auch durchaus kritische Vorbesitzer zu geben scheint, wie der Eintrag „Verbrecher-Album“ auf dem Vorsatz des Exemplars zeigt, den das Antiquariat „Bücherwurm“ in Kiel anbietet.

 

In dem am 5. Juli 1934 erschienenen Heft 13 des vom Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung herausgegebenen „Zentralblatt[es] für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen“ heißt es in der Rezension eines Herrn Zander: „Viele Namen sind durch die Leistungen ihrer Träger dem ganzen deutschen Volk bekannt, andere aber, wie der Verfasser selbst sagt, nur wenigen.“

 

Der Name des am 1. September 1888 auf dem uckermärkischen Gut Schwaneberg geborenen Dr. jur. Ernst Schlange gehörte mit Sicherheit nicht in die Kategorie der im ganzen Volk bekannten Namen. Obwohl er einst als einer von 33 Gauleitern zur obersten Führungsriege der NSDAP zählte. Ernst Schlange war ein Parteigeneral Hitlers. Am 18. Oktober 1932 ernannte der Führer den nach Potsdam gezogenen und in den Preußischen Landtag gewählten Juristen zum Gauleiter Brandenburgs. Zum zweiten Mal beförderte er ihn damit in eine solche Position. Dem Führerprinzip folgend, war Ernst Schlange damit gesamtpolitisch verantwortlich für ein Territorium, das zu dem Zeitpunkt einem Reichstagswahlkreis entsprach. Das schloss das Aufsichtsrecht und die Disziplinargewalt über sämtliche Dienststellen der angeschlossenen Verbände und Gliederungen der NSDAP innerhalb des Gaues ein und führte nicht selten zu Kompetenzstreitigkeiten, vor allem mit 18 Reichsleitern der NSDAP. Zumal diese ja die gesamte Führung der jeweiligen Partei-Organisation bzw. des jeweiligen Partei-Verbandes auf sich vereinigen konnten bzw. wollten.

 

Ernst Schlange, der nach dem Besuch von Volksschule und Gymnasium in Greifswald und Halle Jura studierte, legte 1912 die Erste Staatsprüfung ab, volontierte bei der Mitteldeutschen Bank in Halle und wurde 1913 Angestellter der Darmstädter Bank. Nach seiner Referendarzeit und Promotion bestand er 1914 die Große Juristische Staatsprüfung in Prenzlau.

 

Deutschnational eingestellt, brauchte er neun (!) Anläufe, um im November 1914 als Kriegsfreiwilliger eingezogen und an die Westfront kommandiert zu werden. Ernst Schlanges linke Hand war durch einen Jagdunfall verstümmelt. 1915 wurde der 27-Jährige an die Ostfront versetzt, wo er nach einer Verwundung im Mai den rechten Arm und rechten Lungenflügel verlor. 1917 heiratete er in der Uniform eines Leutnants der Reserve des Kaiser-Franz-Grenadier-Regiments 2.

 

Die Nachkriegszeit sah den ausgebildeten Juristen im Umfeld einer von Politikern wie Albrecht von Graefe und Reinhold Wulle gegründeten norddeutschen agrarisch-völkischen Freiheitsbewegung in der Deutschnationalen Volkspartei.

 

Nach noch nicht einmal sechs Monaten war Gauleiter Schlange einmal mehr über das „Kompetenzgerangel“ und das Intrigenspiel innerhalb der verschiedenen Strömungen der NSDAP gestolpert. Als am 16. März 1933 sein Gau Brandenburg mit dem Gau Ostmark zum neuen Gau Kurmark zusammengelegt wurde, verlor der aus der Uckermark stammende Führer sein Amt und seinen politischen Einfluss.

 

Das war für den Kämpfer der ersten Stunde aber keine neue Erfahrung. Mit der Neugründung der nach Hitlers Putschversuch 1923 verbotenen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei am 27. Februar 1925 wechselte Ernst Schlange von der Deutschsozialen Partei (DtSP), der er seit 1922 angehörte und für die er in Wilmersdorf, Zehlendorf und Steglitz Ortsgruppen aufgebaut hatte, zu Hitlers NSDAP. Dabei führte ihn sein Weg über die Großdeutsche Volksgemeinschaft (GVG) in die Reihen der Nazipartei. Die Großdeutsche Volksgemeinschaft war eine 1923 von Alfred Rosenberg auf Weisung Hitlers gegründete Tarnorganisation der NSDAP, die der „Rettungsanker“ für die alten Kämpfer der verbotenen Hitler-Partei sein sollte. Für Ernst Schlange war die GVG aufgrund ihrer programmatischen Ausrichtung die richtige Adresse. Sie setzte auf eine revolutionär-außerparlamentarische Politik mit teilweise stark national-bolschewistischen Zügen. Für Ziele wie den Schutz von Gewerbetreibenden vor Groß- und Filialbetrieben, eine Beteiligung von Arbeitern am Unternehmensgewinn oder die Verbilligung von Lebensmitteln war Ernst Schlange schon als Funktionär der Deutschsozialen Partei eingetreten.

 

Aber nicht einmal ein Monat Mitgliedschaft war Ernst Schlange in der GVG vergönnt. Am 12. März 1925 löste sich die Großdeutsche Volksgemeinschaft auf. Die GVG-Führer erklärten ihre Unterordnung unter Hitlers Befehl. Alle GVG-Sektionen wurden im Allgemeinen komplett in die NSDAP überführt. Dabei übertrug Hitler ehemaligen GVG-Funktionären wichtige Funktionen in der Partei. Den promovierten Regierungsrat Ernst Schlange machte er noch im März zum ersten Gauleiter von Berlin-Brandenburg, zu dem knapp 350 Mitglieder gehörten. Für dessen Einsetzung war Hitler eigens aus München nach Berlin gekommen. Die von Schlange geführte Parteiorganisation war schlecht organisiert. Ihr Einfluss war nicht zuletzt aufgrund der geringen Mitgliederzahl gering. Hitler versprach sich vom verwaltungserfahrenen Juristen unter anderem eine Einigung der sich in der Partei zusammengefundenen rivalisierenden völkischen Gruppen und einen einheitlichen Kurs.

 

Als Vertrauter von Otto Strasser, der zusammen mit seinem Bruder Gregor den „linken“ Flügel der NSDAP aufbaute, geriet Ernst Schlange in die Auseinandersetzungen um den Kurs der Partei. Die Strasser-Brüder, die 1925 auch den Kampfverlag gründeten, an dem sich neben dem pommerschen Gauleiter Professor Theodor Vahlen auch Ernst Schlange finanziell beteiligte, beherrschten die Berliner Parteiorganisation und entwickelten ein eigenständiges ideologisches Profil gegenüber dem süddeutschen Parteiflügel um Adolf Hitler. Sie verfochten – zunächst gemeinsam mit Joseph Goebbels, dem engen Mitarbeiter Gregor Strassers im Rheinland und in Westfalen – einen antikapitalistischen sozialrevolutionären Kurs der NSDAP. Als auch in Berlin im März 1926 mit der Aufstellung der SA begonnen werden sollte, wandte sich Ernst Schlange wie die Strasser-Brüder dagegen. Er konnte sie aber nicht verhindern. Er machte sich dafür jedoch mächtige Feinde in den eigenen Reihen, so beispielsweise den politischen Leiter der Berliner NSDAP und späteren SS-Obergruppenführer und Chef der Deutschen Ordnungspolizei Kurt Daluege.

 

Für ihn und die aus dem Frontbann, einer Auffangorganisation rechtsextremer Wehrverbände der Weimarer Republik, hervorgegangenen Sturm-Abteilungen wurde der Gauleiter zu einem expliziten Gegner. Diese Konfrontation, aber auch der schwache Führungsstil Schlanges, für den er auch im eigenen Parteiflügel offen kritisiert wurde – er war darüber hinaus kein guter Redner –, führten im Juni 1926 zum Rücktritt als Gauleiter von Berlin-Brandenburg. Darüber hinaus litt der Gau Berlin-Brandenburg an Geldmangel. Am 9. November 1926 führte Hitler Joseph Goebbels in das Amt des Gauleiters von Berlin ein.

 

In seinem ersten Rundschreiben sprach Goebbels nicht von einem Rücktritt Schlanges oder von dessen Ablösung. Den Parteimitgliedern wurde mitgeteilt, dass „Pg. Dr. Schlange zur Zeit beurlaubt“ sei. Danach wurde es parteipolitisch erst einmal ruhig um den Gutsbesitzersohn aus der Uckermark, der ausgerechnet wieder politisch in Erscheinung trat, als sein Onkel Hans Schlange, Gutsbesitzer auf Schöningen in Pommern, Reichsminister und dann Reichskommissar für die Osthilfe im Kabinett Brüning wurde und sein jüngerer Bruder – der, wie sein aus der nahen Uckermark stammender Neffe, den Namen Ernst Schlange trug – für die NSDAP in den Reichstag einzog.

 

Nach Ernst Schlanges zweitem politischen Einbruch im März 1933 hievte man den Verwaltungsjuristen 1934 auf den Stuhl des Präsidenten der Generaldirektion der Preußisch Süddeutschen Klassenlotterie in der vornehmen Viktoriastraße und machte ihn ein Jahr später auch zum Präsidenten des Deutschen Reichsanzeigers und des Preußischen Staatsanzeigers.

 

Im gleichen Jahr übernahm er auch die Führung des Kösener Senioren-Convent-Verbandes (KSCV), eines 1848 gegründeten Dachverbandes der ältesten Studentenverbindungen Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Ungarns, sowie des Verbandes Alter Corpsstudenten (VAC). Per Dekret erklärte er am 24. Oktober 1935, dass alle reichsdeutschen Corps suspendiert seien, außer der VAC. Unter seiner Leitung wurde eine neue VAC-Satzung, eine Ehren- und Waffenordnung für den VAC und ein Ehrenabkommen zwischen VAC und dem Reichsverband Deutscher Offiziere (April 1936) erarbeitet. Mit der nach Forderung der Reichsstudentenführung erfolgten Liquidation des VAC 1938 schied Ernst Schlange aus seinem Amt aus.

 

1947 verstarb der ehemalige Gauleiter im Speziallager Nr. 7 des NKWD in Sachsenhausen.

 

Heute ist Dr. Ernst Schlange selbst in seinem Heimatort vergessen. Auch das Gutshaus, in dem er geboren wurde, steht nicht mehr. 1892 erwarb Arnim Schlange das 745 Hektar große Gut von Elisabeth von Arnim. Die hatte den über viele Jahrzehnte an die Familie Schlange verpachteten Gutsbetrieb von ihrem 1886 in Naumburg an der Saale verstorbenen Vater Heinrich Felix von Arnim geerbt. Arnim Schlange steckte viel Geld in den neu erworbenen Besitz, veräußerte ihn aber bereits wieder 1904 an den Amtmann Herbert Kühne aus Schmölln.

 

Der ließ das alte Herrenhaus abreißen und durch einen Neubau im Reformhausstil ersetzen.