
Das erste Foto des Gutshauses, wohl wenige Monate nach Fertigstellung an einem frühen Nachmittag aufgenommen, die Uhr über dem Eingang zeigt die Zeit kurz vor 14 Uhr, erlaubt eine kleine Zeitreise. An die 20 Sekunden brauchte der Fotograf vor etwa 150 Jahren, das sich ihm bietende Motiv auf Platte zu bannen. Das Bild widerspiegelt damit nicht die tausendstel Sekunde, die eine Aufnahme heute braucht, weniger als ein Wimpernschlag. Das Foto ist zeitlich betrachtet eher ein Videoclip, der die 20 Sekunden des Tages festhält, die ein Mitarbeiter des fotografischen Ateliers und Verlags „A. Mencke & Co. Wandsbek b. Hamburg“ zum Zeitpunkt des Fotografierens erlebte.
1851 wurde der 1822 in Itzehoe geborene Friedrich August Carl Mencke nach dreijähriger Dienstzeit als Adjutant des 8. Infanteriebataillons aus der schleswig-holsteinischen Armee entlassen. Der 29-jährige Sekondeleutnant ging nach Hamburg, wo er Anfang 1852 in das ehemalige Atelier des Daguerreotypisten Hermann Biow in der dritten Etage des Neuen Wall 52 zog und das „photographische Institut Mencke, August & Co.“ eröffnete. Seine Partner dürften die ebenfalls aus der Armee ausgeschiedenen Hauptleute Carl Friedrich la Croix und Carl von Zeska gewesen sein, die den Neuen Wall ebenfalls als Adresse auf ihren Aufnahmen angaben. Carl von Zeska übernahm 1856 das Studio, nachdem August Mencke im Jahr zuvor in die Bleichenstraße 21 umgezogen war.
Wohl schon zu dieser Zeit begann der ehemalige Offizier Adelssitze und Herrenhäuser seiner ehemaligen Regimentskameraden zu fotografieren. Das war aber noch kein flächendeckendes gewerbliches Unterfangen. Als er drei Tage vor Heiligabend 1862 starb, hinterließ er eine sehr junge Witwe, die sein Studio nicht sofort verkaufte, sondern es ab dem 7. März 1863 als neue Inhaberin weiterführte. 23 Jahre war die gebürtige Lütjenburgerin erst wenige Wochen vor dem Tod ihres Mannes geworden. Als Chefin wird Albertine Christiane nicht wie ihr Mann mit der großen Reisekamera und einem Dunkelkammerzelt, dessen es für die Entwicklung der Aufnahmen vor Ort bedurfte, über Land gezogen sein. Das taten angestellte Fotografen. Sie fertigten die Aufnahmen in einem Kontaktverfahren, bei dem die Formate der Abbildungen denen der Negative entsprachen.
1867 brachte die inzwischen neu verheiratete Witwe von August Mencke ein Album „mecklenburgischer Schlösser und Güter“ heraus, das nach einem Zeitungsbericht, der im August in Schleswig-Holstein veröffentlicht wurde, „großen Beifall“ gefunden hätte. Das Album vereinte fast 400 Aufnahmen von Gutshäusern, Schlössern, Hofanlagen, Parkansichten und Landschaften. Die Bilder wurden nicht nur als Album angeboten, sondern auf Karton aufgezogen auch einzeln verkauft. Das Stück kostete 1867 eine Mark und acht Schillinge. Für ein Bild zahlte man damit etwa den halben Wochenlohn eines Knechtes. Ein Kilo Butter hätte man in der Stadt dafür kaufen können. Aber welcher Knecht auf dem Dorf kaufte vor 150 Jahren schon Butter? Die wurde zu Hause selbst produziert und nach Möglichkeit verkauft. Außerdem hätte kein Knecht Geld für ein Foto ausgegeben, welches das Haus seiner Herrschaft zeigte.
Anders die Herrschaft selbst. Die war mit Sicherheit an eindrucksvollen Aufnahmen ihres Besitzes interessiert. Sie wollte nicht nur mit dem schönen Haus nach außen repräsentieren, sondern den Stolz darauf auch im Salon, der Bibliothek oder dem Arbeitszimmer des Herrn deutlich werden lassen. Vielleicht dachte sie auch daran, Bilder an die Schwiegereltern bzw. andere Verwandte zu verschenken. Auf jeden Fall war Mitte des 19. Jahrhunderts ein Markt für solche Bilder da.
Der 1801 in Strelitz geborene Schweriner Archivar Georg Friedrich Lisch hatte bereits in seiner 1842 bis 1845 erschienenen Sammlung „Mecklenburg in Bildern“ eine Reihe von Schlössern und Herrenhäusern aufgenommen. Zwischen 1860 und 1862 gab er zusammen mit Friedrich Wedemeier das Album „Mecklenburgischer Schlösser und Landgüter in Abbildungen der Residenzen, Schlösser und Rittergüter der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz“ heraus, das von erläuternden Texten begleitet wurde.
Und auch im preußischen Nachbarland gab es Ähnliches. Der Berliner Verleger und Buchhändler Alexander Duncker wurde zwischen 1857 und 1883 mit einer Grafiksammlung bekannt, in der er auf 960 farbigen Lithographien Herrenhäuser und Schlösser, darunter 92 aus Pommern, präsentierte.
Waren die Mecklenburger Ansichten von Lisch noch nach Zeichnungen gestochen, entstanden die preußischen Lithographien Dunckers bereits nach Fotografien. Albertine Christina Mevert, wie Menckes Witwe nach ihrer Hochzeit mit dem Schriftsteller und Dr. Ernst Friedrich Christian Mevert hieß, hat von ihrem Mann einen beträchtlichen Fundus auf Glasplatten gebannter Herrenhäuser geerbt, die die Grundlage für die Herausgabe des Fotoalbums bildeten. Verantwortet haben dürfte die aber bereits ihr neuer Mann, der nach der Hochzeit 1865 die Geschäfte übernahm, während sie sich um den am 5. September 1866 geborenen Sohn Ernst (jun.) kümmerte, der am 25.7.1943 bei einem Fliegerangriff auf Hamburg „fiel“. Als Schriftsteller und promovierter Philosoph war es Ernst Mevert gewohnt, mit Worten umzugehen. Er wusste, worauf die Kundschaft des Fotoverlages Wert legte und umwarb sie dementsprechend. Für die Bilder werde der „Aufnahmepunkt mit künstlerischem Blicke“ gewählt und die Schärfe der Bilder ließe nichts zu wünschen übrig, „man sieht jedes Blatt am Baume, jeden Schildhalm im Wasser“.
Das Foto vom Gutshaus Cammin könnte von Friedrich August Carl Mencke aufgenommen worden sein. Das Haus wurde 1862 gebaut. Der Fotograf starb Ende desselben Jahres. Wahrscheinlicher aber ist, dass ein angestellter Fotograf Cammin im Auftrag von Ernst Mevert ablichtete und dabei rechts auf dem Bild auch Personen aus der Familie bzw. dem Haushalt des Bauherrn Hermann Hoth für die Ewigkeit festhielt. Die Frau mit dem breitkrempigen weißen Sommerhut, um den sich ein farbiges Band windet, könnte Fanny Hoth, die Ehefrau, sein. Da es keine Töchter im Hause Hoth gab, ist anzunehmen, dass das vor der Dame gehende Mädchen in Weiß eine Hausangestellte ist. Vielleicht ein Kindermädchen. Die Söhne Hermann, Adolph und Cuno, auf dem Bild sieht es aus, als liefe zumindest einer in dunklerer Kleidung an der Hand der Mutter, waren 1855, 1856 und 1859 geboren. Sie wären 1862 also sieben, sechs und drei Jahre alt bzw. 1867, als das Bild im Album mecklenburgischer Schlösser und Herrenhäuser veröffentlicht wurde, zwölf, elf und acht Jahre gewesen.
Während Auftraggeber Hermann Hoth 1876 das Zeitliche segnete, wanderten Ernst und Albertine Mevert, nachdem er 1882 und 1883 im Verlag A. Mencke & Co. noch seine Bücher „Reisebriefe aus Paraguay“ und „Ein Jahr zu Pferde. Reisen in Paraguay“ veröffentlicht hatte, nach Südamerika aus, wo auch der Sohn mit Familie in der Nähe von Casablanca des Vaters Traum vom Leben als Landwirt und Gutsbesitzer verwirklichte. Albertine Mevert, verwitwete Mencke, geborene Jürgens, starb 1897 mit 58 Jahren.
"Bild Dir ein Bild" aus meinem 2019 erschienenen Buch CAMMINer GESPRÄCHE. Das Buch uns weitere aus meiner Feder finden Sie auf meiner Webseite unter dem Menüunkt Buchladen.