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Blick in den Rückspiegel

Willy von Normann                                                                                                       Foto: Oertzen-Archiv
Willy von Normann Foto: Oertzen-Archiv

Die Gegenwart ist ein Ergebnis der Vergangenheit. Es lohnt sich also ab und an einen Blick in den Rückspiegel zu werfen, um für das Heute und Morgen gewappnet zu sein.

Gestern half mit ein sehr guter Freund, für den Sütterlin und Kurrent keine unlesbaren Geheimschriften sind, die Namen zu entziffern, die unter Bildern eines gut 150 Jahre alten Fotoalbum stehen, das mir Frau Dr. Karen Michels, die als Kunstwissenschaftlerin das Archiv der Familie von Oertzen betreut, leihweise für meine Arbeit an einem neuen Buchprojekt (Rattey) überlassen hat. Eigentümerin der Fotosammlung war früher das Fräulein Maria von Heßberg, Hofdame der Großherzogin von Mecklenburg-Strelitz, wie es auf Seite eins des Albunms heißt. Abgebildet sind gut 60 Damen und Herren der Neustrelitzer Hofgesellschaft um 1860. Hinter jeder Aufnahme verbergen sich spannende Geschichten.

Unter dem Foto von Willy von Normann steht: "Als englischer Offizier in China ermordet." Gopogle fragen. Das Netz spuckte einen kleinen Schnipsel eines 1900 in Englisch erschienenen Buch aus, dessen Titel übersetzt heißt: "Eine Abhandlung ihrer königlichen Hoheit Prinzessin Mary Adelaide Fürstin von Teck". Der Ghostwreiter der Prinzessin, deren Oma immerhin Queen Charlotte, unsere in Mirow geborene Mecklenburg-Strelitzer Prinzessin Sophie Charlotte war,  schrieb damals: "Gerade als ich mich anzog, schickte Mama mir einen Brief von George mit der schrecklichen Nachricht aus China über die englischen Gefangenen. Der arme Willy von Normann und ein Kapitän Anderson starben an den Folgen von Misshandlungen! Es ließ mein Blut kalt werden."

Willy von Normann, geboren am 28. August 1832 zu Horsham in der Grafschaft Sussex, Sohn des preußischen Diplomaten und Dichters Freiherr Helmut Theodor von Normann und der Neustrelitzer Ehrenhofdame Wilmina von Normann, geborene Douglas Maclean of Clephane zu Horsham in Schottland, war zweisprachig in Neustrelitz und Großbritannien aufgewachsen. Sein Abitur machte er in Neustrelitz.

Als Legationssekretär der englischen Gesandschaft in der Freien Hansestadt Hamburg wurde er kurz vor Beginn des zweiten Opiumkrieges nach China geschickt und geriet dort mit weiteren 30  Angehörigen einer Verhandlungsgesandschaft unter Harry Smith Parkes in Gefangenschaft und wurde "im Gefängnis von den Chinesen in bestialischer Weise zu Torde gemartert, so daß er am 5. Oktober 1860 den Hungertod starb", heißt es in einem Buch über die Familiengeschichte der Normanns.

Bei dem Krieg England und Frankreichs gegen das Kaiserreich China ging es um die Legalisierung des Opiumhandels und die Erschließung des chinesischen Hinterlandes für europäische, vor allem englische Importinteressen.

In Neustrelitz erichtete Willya Mutter im Andenken an den einzigen Sohn mit dessen Vermögen (2000 Goldtaler) am 11. April 1862 eine Stiftung für "christlich ehrbare Witwen und unbescholtene Jungfrauen, die in Neustrelitz ihren Wohnsitz haben".  Vom englischen Parlament erhielt sie, die 1869 starb, als "Schmerzengeld" 10.000 Pfund. Mit einem Teil des Geldes erhöhte sie die Stiftungssumme. Einen  anderen Teil verwendete sie um ihrem Sohn ein Grabdenkmal auf dem christlichen Friedhof in Peking zu erichten, wo ihr Sohn bestattet wurde.

Ob das Denkmal noch steht?

Mit Willy von Normans Tod erlosch auf jeden Fall das Adelsgeschlecht in Mecklenburg-Strelitz.