Pornodreh im Neustrelitzer Knast

Drehort war das Gefängnis in Alt Strelitz. Foto: Cazzo Film
Drehort war das Gefängnis in Alt Strelitz. Foto: Cazzo Film

Seit 2001 werden in der ehemaligen Justizvollzugsanstalt in Alt Strelitz keine Gefangenen mehr untergebracht. Das 1805 im Auftrag von Herzog Carl errichtete Landarbeits-, Zucht- und Irrenhaus auf dem Gelände des 1712 abgebrannten Residenzschlosses steht seitdem leer und unter Denkmalschutz und verfällt. Mitunter aber erwacht(e) das Denkmal zu zeitweisem Leben. 2003 brachte das Neustrelitzer Theater Hans Falladas Roman „Der Trinker“ am Ort seiner Entstehung zur Aufführung. 1944 hatte ihn der Schriftsteller, der nach einem Mordversuch an seiner geschiedenen Frau für ein gerichtsmedizinisches Gutachten in die damalige Landesanstalt Strelitz eingewiesen worden war, dort innerhalb von 16 Tagen  geschrieben.

Im gleichen Jahr, als das Theater den Trinker in den Knast brachte, drehte auch Regisseur Jörg Andreas Polzer, Künstlername Jörg Andreas, Jahrgang 1966, Germanist und Theaterwissenschaftler, Absolvent der Hochschule für Bildende Kunst Braunschweig, im einstigen Hafthaus den Spielfilm „Gefangen“, der nach Abschluss der Postproduktion 2004 am 26. Mai 2005 seine Kinopremiere feierte.

Der Inhalt des Films ist schnell erzählt. Der Kleinkriminelle Dennis, eben noch als Betrüger unterwegs, wird ins Gefängnis eingeliefert. Sein Trakt wird beherrscht von einem skrupellosen Bandenchef, der mit korrupten Beamten und brutalen Zellennachbarn unter einer Decke steckt. Sein Alltag ist unerträglich und menschenunwürdig. Bis Dennis Mike unter den Mitgefangenen entdeckt. Er fühlt sich zu diesem Menschen hingezogen. Sie treffen sich heimlich, werden entdeckt und bestraft. Aber das Verlangen ist stärker und Dennis merkt, dass er nicht nur im Gefängnis eingesperrt, sondern auch in seiner Liebe zu Mike gefangen ist.

Nur wenige Wochen blieben Jörg Andreas, das Drehbuch zu schreiben, das nach seiner Aussage unter anderem von Dimitri Todorovs Buch „22 Jahre Knast“ beeinflusst wurde. In seiner Autobiografie erzählt Todorov von seiner Liebe hinter Gittern zu einem schwarzen Amerikaner und wie es beiden nach vielen Bestrafungen gelang, in eine gemeinsame Zelle verlegt zu werden.

Aus finanziellen und organisatorischen Gründen war der Berliner Produktionsfirma Cazzo Film, die mittlerweile zu den bekannteren schwulen Pornoproduzenten in Europa gehört,  klar, dass ein Spielfilm und ein Porno nicht getrennt hintereinander gedreht werden konnten, sondern parallel und miteinander verbunden werden mussten. Die Hauptdarsteller konnten deshalb auch nur aus dem Kreis ihrer Darsteller oder Bewerber stammen und mussten bereit sein, an expliziten Sexszenen mitzuwirken.

Die Hauptrolle des Dennis übernahm der gebürtige Demminer Marcel Schlutt, Jahrgang 1977, der bis dahin als Fotomodell und Moderator einer Fernsehsendung bei Beate Uhse TV  gearbeitet hatte und weder über schauspielerische Erfahrungen noch über Erfahrungen als Erotikdarsteller verfügte, die auch beim Darsteller des Mike nicht vorhanden waren, aber zwingend gebraucht wurden.

Ganze 16 Zwölf-Stunden-Drehtage standen dem Produktionsteam und seinen Laiendarstellern zum Dreh beider Filmprojekte zur Verfügung. Für die Location, das heißt den Knast in Alt Strelitz, musste kein Cent bezahlt werden. Hauptdarsteller Marcel Schlutt erinnert sich, dass es toll war, in den drehfreien Momenten das Gefängnis zu erkunden. „In vielen Zellen konnte man auch einiges über die Insassen erfahren. Da waren ganze Lebensläufe an den Wänden.“

„Gefangen“, FSK 16, kam bei der Kritik nicht an: „Jörg Andreas besitzt nicht das nötige Gespür für eine solch sensible, dramatische Thematik und spart an der nötigen Emotionalität und Tiefe. Obwohl der Film einen gewissen Reiz hat, hätte er gern ironischer, trashiger oder kitschiger sein können. Doch so ist ‚Gefangen – Eine Liebe hinter Gittern‘ zu offensichtlich ein beschnittener Porno.“ Darüber hinaus ist er aber für Neustrelitz auch ein als DVD erhältliches Zeitdokument, das zu archivieren lohnt, allein wegen des Blicks auf bzw. in die alte JVA und für die Unterstützung der Kachelofenfabrik, wie auch immer die ausgesehen haben mag. Auf jeden Fall war sie so wichtig, dass sich die Filmverleihfirma im Pressematerial ausdrücklich bei ihr bedankte.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0