Antiterrortraining in den Schwarzen Bergen

Crusty ist gelandet - Stasi-Übungsobjekt steht im Garten des "Deutschen hauses" in Grünz

IL 134-A im Garten
Im Garten des „Deutschen Hauses“ in Grünz steht die TU 134-A, an der die Antiterroreinheiten der Stasi die Befreiung von Geiseln einer Flugzeugentführung probten.

Eine sowjetische Tupolew 134-A, Nato-Codename Crusty, ist die Sehenswürdigkeit des zu Penkun gehörenden Dorfes im Grenzgebiet Mecklenburg-Vorpommerns zu Brandenburg. Im Garten des für seine gute Küche bekannten „Deutschen Hauses“ steht das für bis zu 76 Passagiere ausgelegte zweistrahlige Kleinstreckenflugzeug, das ursprünglich für die Aeroflot unterwegs war. 1990 holte der Gastwirt Ernst Baumann die 1965 gebaute Maschine, Produktionsnummer 2351607, mit Hilfe schwerer Traktoren von ihrem Standort in den Schwarzen Bergen in seinen Garten. Er wollte mit dem Flieger zu gastronomischen Höhenflügen starten und in der Maschine ein Restaurant betreiben. Dafür erhielt er allerdings keine Zulassung. Fehlende Raumhöhe und Notausgänge sollen die gesetzlichen Hürden gewesen sein.

Jetzt lockt die 50 Jahre alte Maschine in einem interflugähnlichen Anstrich als technisches Denkmal Dorf- und Wirtshausbesucher an. Bis der Flieger in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über Felder und durch das Randowtal nach Grünz „überführt“ wurde, diente die 1984 aus dem Luftfahrregister der UdSSR gestrichene Maschine Spezialeinheiten des Ministeriums für Staatssicherheit als Übungsobjekt bei der Antiterrorabwehr.


Geheime Fachschule in der Uckermark

Das Ministerium unterhielt bis zu seiner Auflösung 1990 unmittelbar hinter der Grenze zum damaligen Bezirk Frankfurt (Oder) ein geheimes Ausbildungsobjekt. Das Dienstobjekt „Der lange Ort“ am Rand des uckermärkischen Dorfes Wartins firmierte zusammen mit seinen fast 50 Hektar großen Ausbildungsflächen nahe Grünz in Vorpommern intern unter dem Tarnnamen „Wally“. Es war eine von drei Einrichtungen, die der Geheimdienst 1962 von der Verwaltung 15 des Ministeriums für Nationale Verteidigung übernommen hatte und aus der 1973 durch Zusammenlegung der drei Objekte seine Zentrale Fachschule (ZF) Wartin wurde.

Zu dieser Einrichtung gehörten auf dem 47 Hektar großen und von Bunkern durchzogenen Ausbildungsareal in den Grünzer und Schwarzen Bergen eigens angelegte Kampftrainingsplätze. Auf rund 4000 Quadratmetern gab es hier neben einen besonders eingerichteten Schießstand auch fünf Stechpuppen in freistehender oder gedeckter Ausstellung für Hieb-, Stich- und Strangulationsübungen, an denen Kurteilnehmer der Zentralen Fachschule das lautlose Töten übten. In Handbuch der AGM „S“ (Arbeitsgruppe des Ministers für Sonderaufgaben) heißt es: „Auf die Methoden der lautlosen Annäherung und des lautlosen Tötens ist besonderer Wert zu legen. Die Anwendung von Waffen ist an einer Puppe zu trainieren, dem Training an der Puppe ist überhaupt der Vorrang zu geben.“

In der damals Bezirks- und heute Landesgrenzen überschreitenden Ausbildungsbasis trainierten die Antiterrorspezialisten des MfS darüber hinaus nach dem Vorbild der westdeutschen GSG 9 alles, was bei Einsatz gegen Terroristen gefragt ist: Scharfschießen und Geiselbefreiung à la Mogadischu, Panzerknacken, provozierte Autounfälle…

Ihren wohl spektakulärsten öffentlichen Auftritt hatte die Elite-Einheit am 20. September 1981, als vier Häftlinge aus dem Gefängnis in Frankfurt (Oder) ausbrachen, einen Polizisten erschossen und mit einer Geiselnahme ihre Ausreise in den Westen erzwingen wollten. Häufig waren sie auch an der Jagd nach fahnenflüchtigen Sowjetsoldaten beteiligt, von denen jährlich zwischen 400 und 500, teilweise bewaffnet, desertierten. Doch auch bei der Absicherung von Großveranstaltungen wie dem UEFA-Pokalspiel von Lok Leipzig gegen Fortuna Düsseldorf am 12. Dezember 1973 in der Messestadt wurden vier drei Mann starke Einsatzteams eingesetzt, ausgerüstet mit Scharfschützengewehren, Maschinenpistolen, Tränengasampullen und Kampfmesser.


Auch Diversanten ausgebildet

Über die Aufklärung von Anschlägen gegen die DDR und deren Abwehr hinaus, wurden in Wartin und den Schwarzen Bergen auch Einsatzgruppen und Einzelkämpfer ausgebildet, die im Fall einer militärischen Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik Deutschland Sabotageakte in der BRD verüben sollten, um so den Feind zu destabilisieren und zu schwächen. Bei einer Übung am 7. September 1982 wurde Angermünde zum Einsatzziel. Vier Einsatzgruppen, insgesamt 21 Mann, drangen auf „verschiedenen konspirativen Wegen in das Operationsgebiet ein. Unerkannt von der Bevölkerung und den Behörden“ klärten sie im Verlauf des 8. September verschiedene Stellen in der Stadt auf. Nach der imitierten Sprengung von Eisenbahnlinien „tauchten“ die Kämpfer im Operationsgebiet unter, um sich dann „einzeln in die DDR abzusetzen“.

Insgesamt sollen seit 1962 bis März 1985 fast 3500 solche praxisbezogene „spezifische Ausbildung“ durchlaufen haben. Das real verfügbare Potential betrug aber Mitte der 1980er Jahren nur etwas mehr als tausend Mann – 208 Einsatzgruppen a fünf Kämpfern. Der Rest war bereits zu alt, tot oder aus dem Dienst ausgeschieden.

Nach der Wende „veranstalteten Stasi-Einzelkämpfer, die sich in Berlin als Karatelehrer verdingen, schon mal ein Trainingscamp in ihrem alten uckermärkischen Objekt ‚Wally‘. Und alte Kämpfer offenbarten beim gemeinschaftlichen Trinkgelage in Wartin nach dem x-ten Bier schon mal: ‚Das Ministerium lebt. ‘“, wie „Die Welt“ am 7. April 1999 zu berichten wusste.

Während 2007 das „geheime Objekt“ Wartin von ABM-Kräften „zurückgebaut“ war, tummelten sich zu diesem Zeitpunkt auf dem einstigen Kampftrainingsplatz in der Nähe von Grünz Paintballspieler. Inzwischen lässt die Stiftung Umwelt und Naturschutz MV im Rahmen der Managementplanung für das FFH-Gebiet „Randowtal bei Grünz und Schwarze Berge“ nicht nur im sprichwörtlichen Sinn des Wortes (Trocken-)Gras (Trockenrasen) über die Geschichte wachsen. Die einst gut getarnten Bunkeranlagen wurden verschlossen und dienen, baulich verändert, heute dem Schutz von Fledermäusen und Amphibien.


Über das fast 50 Hektar große Areal des Übungsgeländes der geheimen Stasi-Fachschule in den Grünzer und Schwarzen Bergen wächst der Trockenrasen des FFH-gebietes Randowtal. Die einstigen Bunker im Stasi-Übungsgelände sind heute Fledermausquartiere der Stiftung Umwelt und Naturschutz Mecklenburg-Vorpommern.

Fotos (2): Stiftung Umwelt & Naturschutz

 

Der Beitrag erschien am 9. August 2015 im Vier-Tore-Blitz

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Kommentare: 2
  • #1

    Hans Katzgraber (Montag, 06 Juni 2016 17:46)

    Eine sehr interessante Information.

    Es trainiert wo ganz geheim
    blickgetrennt eine Partie;
    nirgendwo so ganz daheim -
    blitzartig, so braucht man sie!

  • #2

    Winfried Retzlaff (Sonntag, 22 September 2019 12:59)

    Als 1946 in Grünz geborener waren die Schwarzen Berge äußerst beliebtes Abenteuetrerrain. Bis zum 2. Weltkrieg gab es dort eine Segelflughalle, technische Reste der einstigen Maschinen waren waren begehrte Funde für uns Kinder. Bis weit in die Mitte der 50er Jahre gab es dann noch Segelflugverkehr. Beliebt bei uns waren die Sandhänge, die Restgruben vom Sandabbau für die Reichsautobahn bis 1936. Seit Anfang der 60er, also noch vor der Stasi, wurde das Gelände von Paramilitärs, GST u.A. für Schießerei genutzt . Betreten Verboten, aber nicht für uns Kinder und Jugendliche, gesammelt wurden jetzt leere Patronenhülsen aller Kaliber...