Adel verpflichtet, Opel auch

Vor 111 Jahren fuhr das erste Auto durch Neubrandenburg

Kommerzienrat Max Tiedt, im Fond seine Frau Elsabe und eine Enkelin, steuerte 1904 das erste Auto von Neubrandenburg, einen Opel.
Kommerzienrat Max Tiedt, im Fond seine Frau Elsabe und eine Enkelin, steuerte 1904 das erste Auto von Neubrandenburg, einen Opel.

Neubrandenburg. Adel verpflichtet. Opel auch. Der Besitzer des ersten Autos in Neubrandenburg, Kommerzienrat Max Tiedt, war ein guter Freund des Mecklenburg-Strelitzer Großherzogs Adolph Friedrich V. Als der 1904 in Neustrelitz den Thron bestieg, kaufte der größte Getreidehändler der knapp 11.0000 Einwohner zählenden Viertorestadt das erste Automobil, das durch die Straßen Neubrandenburgs rollen sollte: einen Opel.

Dem Unternehmer war es meistens selbst vorbehalten, das Fahrzeug zu steuern. Sein alter Prokurist wehrte sich mit Händen und Füßen, die kleinste Fahrt in dem Ungetüm zu unternehmen. Nach seiner Ansicht war das Auto viel zu gefährlich. Max Tiedt, hier am Steuer des Opels – im Fond hat seine Frau Elsabe mit einer Enkelin Platz genommen –, war hingegen ein begeisterter Autofahrer. So war es für ihn auch keine Frage, seinem Freund, dem Landesherrn, zu folgen und sich dem 1912 in Schwerin gegründeten Großherzoglichen Mecklenburgischen Automobilclub anzuschließen. Er wurde Mitglied der Sektion Neubrandenburg. Sein Ausweis trug die Nummer 30.

Kurz nach der Jahrhundertwende in den motorisieren Straßenverkehr zu investieren – Opel baute beispielsweise erst  seit 1898 Autos – war außerordentlich zukunftsorientiert. 1932 zählte Neubrandenburg zwar ein Drittel mehr Einwohner als 1904, aber nur 115 Autos.

Max Tiedt war jeglichem technischen Fortschritt gegenüber aufgeschlossen. Die Weltläufigkeit des Neubrandenburgers resultierte aus seiner soliden Ausbildung im Familienunternehmen, bei Getreidehändlern und Banken in ganz Deutschland sowie einer mehrjährigen Tätigkeit in den Vereinigten Staaten, wo er an der Getreide-Weltbörse in Chicago Erfahrungen sammelte.

Nachdem er 1899 das Familienunternehmen in der mecklenburgischen Provinz übernehmen musste – erst war der Vater, dann der ältere Bruder gestorben – modernisiere er zuerst den von seinem Großvater Hans Georg Tiedt außerhalb der Stadtmauern errichteten Speicher. Er ließ Elevatoren (Stetigförderer) einbauen und eine amerikanische Telefonanlage installieren. Die verband sein Büro mit dem Wohnhaus der Familie gegenüber dem großherzoglichen Palais in der Innenstadt. Von den Landwirten der Umgebung wurde dieses technische Wunder ebenso bestaunt wie 1923 die von seinem Sohn Carl Jacob Tiedt in Betrieb genommene Radioempfangsanlage. Mit der konnte die 1815 gegründete Firma Tiedt Kurse von der Börse empfangen  und war so den mit ihm im Wettbewerb stehenden Unternehmern immer eine Nasenlänge voraus.

Das richtige Gespür für die Neuerungen der Zeit hatte bereits Jahrzehnte zuvor Hans Georg Tiedt bewiesen. Im Wissen über den zukünftigen Verlauf der Bahntrasse durch Neubrandenburg, die Hamburg mit Stettin verbinden sollte, hatte er große Flächen in diesem Bereich erworben und 1847 mit dem Bau eines 2500 Kubikmeter großen Speichers begonnen. Nachdem 1857 durch  eine Kommission die exakte Planung der Bahntrasse von Güstrow nach Neubrandenburg feststand, überließ er der Bahn das an seinen Speicher angrenzende Land unter der Bedingung, dass sie die von Tiedt benötigten Waggons kostenlos an- und abtransportiert.

Mehr als 75 Jahre versuchten die Eisenbahnunternehmen aus dem für sie ungünstigen Vertrag herauszukommen und stritten vor den Gerichten mit den Tiedts. 1924 entschied das Reichsgericht dann endgültig gegen die Deutsche Reichsbahn und den Reichsverkehrsminister und für die Familie, die bis 1953 ihre Handelsfirma weiter betreiben konnte, ehe sie enteignet wurde.  

Heute ist der Tiedt’sche Speicher ein von der Webasto AG saniertes Industriedenkmal, ein Bürogebäude, in dem unter anderem die Entwicklungsabteilung des Unternehmens untergebracht ist. Der Automobilzulieferer Webasto entwickelt und produziert komplette Dachsysteme sowie Heiz-, Kühl- und Lüftungssysteme unter anderem für Opel und bietet darüber hinaus auch Standheizungen und Schiebedächer zur Nachrüstung an.

Gut 50 Jahre bewohnte die Unternehmerfamilie Tiedt das Wohn- und Geschäftshaus Turmstraße 1 gegenüber dem heutigen Kaufhof, bevor sie es Ende der 1920er Jahre an Karstadt verkaufte.
Gut 50 Jahre bewohnte die Unternehmerfamilie Tiedt das Wohn- und Geschäftshaus Turmstraße 1 gegenüber dem heutigen Kaufhof, bevor sie es Ende der 1920er Jahre an Karstadt verkaufte.

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