Schreckenstage von 1631 finden 2015 keine Erinnerung mehr

Pflegt Neubrandenburg eine Kultur des Vergessens?

Warum führen am 21.März nicht Harald Klenz als Dodo von Knyphausen (Foto) oder Bernd Fuhrmann als Graf Tilly durch das historische Neubrandenburg? Will man sich nicht mehr an den Dreißigjährigen Krieg erinnern?
Warum führen am 21.März nicht Harald Klenz als Dodo von Knyphausen (Foto) oder Bernd Fuhrmann als Graf Tilly durch das historische Neubrandenburg? Will man sich nicht mehr an den Dreißigjährigen Krieg erinnern?

Ein vergessener Gedenkort, ein unterschlagenes Denkmal und der Auftakt der historischen Stadtführungen am 21. März mit der redseligen Mudder Finksch zeigen, dass der Dreißigjährige Krieg im kollektiven Gedächtnis der Stadt keine Rolle mehr spielt

Neubrandenburg. Das von der Touristinformation herausgebetene Faltblatt zu den Gedenkorten der lokalen Geschichte bis 1918 kennt im Zusammenhang mit dem 30-jährigen Krieg nur die Gedenktafel aus einem grau-blauen bis anthrazitfarbenen Kalkstein mit dem irreführenden Namen Belgisch Granit, die an den Tod des Kapitän Pflugs und eines Teil der schwedischen Besatzung bei der Erstürmung der Stadt durch Söldner des kaiserlichen Feldherren Tilly erinnert.


Der Held ein Mordbrenner?

Wenn stimmt was Dr. Bernd Warlich aus Volkach herausfand, soll der tapfere Offizier der schrecklichster aller Mordbrenner gewesen sein, der 1622/23 in Delbrück hauste, ein reisender Kriegshandwerker, der vorher schon „ein Räuberkorps holländischer Reiter“ geführt hat. Als die in Stein gemeißelte Erinnerung – wahrscheinlich zum 250. Jahrestag der gedachten Ereignisse 1881 – von Mitgliedern des Verschönerungsvereins an der Nordmauer des Zwingers angebracht wurde, in dem nach der Eroberung durch Tilly 92 grausam verstümmelte Leichen barg, war das gebildete Bürgertum der Stadt geschichtsbewusster. Es hatte 1872 nicht nur einen Museumsverein gegründet und ein Jahr später das erste bürgerliche Museum in Mecklenburg-Strelitz eröffnet. Es pflegte auch eine ausgesprochene Erinnerungskultur. Die zwischen der Neutorstraße und der Stadtmauer verlaufende Behm- sowie die zwischen dem Polizeipräsidium und der Johanniskirche liegende Pontanusstraße sind beispielhaft dafür. Erstere Straße erinnert an den jüngsten der damaligen Bürgermeister Erasmus Behme, der, nachdem er den kaiserlichen Söldnern schon 300 Gulden für sein Leben gezahlt hatte, in seinem eigenen Haus zusammen mit einem Ratsdiener ermordet wurde. Die Pontanusstraße gedenkt des Mannes, den die regionale Geschichtsschreibung für den anonymen Augenzeugen hält, der 1631 auf 31 Seiten die Eroberung der Stadt beschrieb. Nicht vergessen werden darf in dem Zusammenhang eine zweite Gedenktafel für Dodo von Kniephausen, die eins „Büngers Garten“ und heute die Fassade des Hotels Jahnke in der Rostocker Straße ziert, die aber sowohl im Faltblatt der Gedenkorte wie in der aktuellen städtischen Denkmalliste fehlt.


Stadt hatte sogar eigenen Buß- und Bettag

Als sie am 1875 erstmals erwähnten Ausflugslokal angebracht wurde, gab es zwar nicht mehr den Tilly-Tag, einen speziellen Buß- und Bettag, der jährlich am Mittwoch nach Dominica Reminiscere, dem Mittwoch nach dem 2. Fastensonntag begangen wurde und mit dem man 200 Jahre der Opfer gedachte – 1831 ist er ein letztes Mal in den Neubrandenburger Ratsprotokollen nachgewiesen – aber eine für historische Stadtführungen erfundene Hebamme Mudder Finksch hätte der Museumsverein am 21. März – so ist es für dieses Jahr geplant – nicht in die Spur geschickt. Hätte er die Wahl unter den historisch kostümierten Stadtführers gehabt, er sich mit Bestimmtheit für den „Zeitzeugen“ Dodo von Knyphausen entschieden, der 384 Jahre und zwei Tage zuvor die Stadt verteidigte.


Schweden waren Deutsche und Schotten

Er könnte viel Neues erzählen, zum Beispiel dass Neubrandenburg 1631 nicht von 2000 Schweden verteidigt wurde, sondern von einem Regiment in Norddeutschland geworbener Söldner, deren Oberst Generalleutnant Dodo Freiherr von Knyphausen und zu Innhausen war, sowie von sechs Kompanien des aus dem schottischen Hochland stammenden Regiments Mac Kay, die zu diesem Zeitpunkt vom 27-jährigen Oberstleutnant John Lindsey Laird of Bainshaw kommandiert wurden. Die Sollstärke der schottischen Kompanien lag bei 126 Mann, 54 mit Piken ausgerüsteten Soldaten und 72 Musketieren, wurde aber nie erreicht, ebenso wenig wie bei den Schweden, wo ein Regiment zwischen 480 und 1000 Mann, offiziell 1200 Mann, zählte. Während Knyphausen sowohl mit seiner als auch der Kompanie des Kapitän Plug das Friedländer Tor verteidigte, hatte sein gefallener Oberstleutnant Dinheimer die Verantwortung am Stargarder Tor. Das Kommando am Treptower Tor hatte der Schotte Lindsey, während „der königl. Oberst T.B. [das Neue Tor] defedirete (verteidigte)“, wie dem Pontanus zugeschriebenen Augenzeugenbericht zu entnehmen ist, der im übrigen die Zahl der Toten als Wesentlich zu hoch angibt.


Opferzahlen zu hoch angegeben

Nur 50 Soldaten wären „gefänglich gen Stargard gebracht, alle übrige niedergemachet“ worden. In den 1637 veröffentlichten Erlebnissen des Oberst Robert Monro of Obsdale heißt es bezüglich der Schotten, das Oberstleutnant Lindsey und Hauptmann Moncreiffe sowie Leutnant Keith und Fähnrich Hatton „mit manch tapferen Soldaten an ihrer Seite im Getümmel niedergehauen“ wurden und alle tapfer bis zum letzten Mann gekämpft hätten, weil die Kaiserlichen ihnen „Quartier“, d.h. das sich Ergeben, verweigerten. „Die anderen schottischen Offiziere des Regiments, die in der Stadt waren, wie Hauptmann Ennis, Hauptmann Gunne, Hauptmann Beaton und Hauptmann Learmond wurden mit ihren Offizieren und Soldaten größtenteils gefangen genommen“, so Monro wörtlich. Seine Erinnerung wird auch vom offiziellen Bericht des Neubrandenburger Rates vom 15. Mai 1631 an Herzog Johann Abrecht II. gestützt, in dem von 800 toten Verteidigen gesprochen wird.

Und ähnlich den Truppen des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf dürfte auch Johann t'Serclaes Graf von Tilly nicht 1500 Tote zu verzeichnen gehabt haben, wie es im Augenzeugenbericht heißt. Auch bei ihm hatte der Krieg den Krieg zu ernähren. Gezahlt wurde vom Kaiser schließlich nach der Soll- und nicht nach der tatsächlichen Iststärke der Truppen. Allerdings sind nach dem Abzug der Tillyschen Truppen noch etliche Kaiserliche in Neubrandenburg ermordet worden. Verantwortlich dafür ist die schottische Fähnrich Greame, der wegen der Verwundeten Tillys mit einigen Dragonern aus Friedland nach Neubrandenburg geschickt wurde.


Auch die Schweden beschossen Neubrandenburg

Oberst Monro verschweigt dieses Detail der im schwedischen Feldtagebuch mit keinem Wort erwähnten Niederlage Knyphauses in Neubrandenburg, bei der doch mindestens 2000 Menschen starben, ebenso wenig wie er die Einnahme Neubrandenburgs durch den Schwedenkönig am 11. Februar 1631 ausführlich würdigt. Die ging auch nicht ganz kampflos von statten.

„Der König, der um drei Uhr am Nachmittag in Reichweite der Geschütze an die Stadt herangekommen war, stellte uns in Schlachtreihe auf und teilte dann die Posten ein. […] Als wir in die Stellungen einrückten und dabei in die Reichweite der Kanonen der Stadt gerieten, wurden wir mit Geschützen, Wallbüchsen und Musketen begrüßt. In kurzer Zeit zahlen wir den Feinden das, was sie uns geschickt hatten mit Zinsen zurück […] In unserem Abschnitt lag vor dem Tor eine kleine Dreieckschanze mit einem ringsum laufenden Wassergraben und einer Zugbrücke. Wir überwanden den Graben, der nicht tief war, stürmten die Schanze und zwangen den Feind, sich hinter die Wälle der Stadt zurückzuziehen. Da er einen Generalangriff befürchtete, ließ der Feind unverzüglich unter Trommelschlag ankündigen, dass er zu verhandeln wünsche, was ihm auch zugestanden wurde“, berichtet Monro.

Letztlich kapitulierten 1700 Kaiserliche, eine andere Quelle spricht von 600 Mann zu Fuß und drei Reiterkompanien, vor dem 8000-Mann-Heer der Schweden.

Der aus Piacenza stammende Franz von Marazzani verlor wegen dieser Kapitulation sein Regiment und hatte sich in einem Kriegsgerichtsverfahren zu verantworten. Dodo von Knyphausen hingegen schadete die Niederlage ein paar Wochen später nichts. Er erhielt von seinem König noch 1631 die Festung Klempenow als Pfandlehen und ein Jahr später die Beförderung zum Generalfeldmarschall.

Dasalles und noch mehr könnten der Reichsfreiherr von Knyphausen oder sein Widersacher Graf Tilly erzählen, wenn einer von ihnen am 21. März um 15 Uhr den an der Konzertkirche beginnenden historischen Stadtrundgang anführen würde. Aber vielleicht ist es beiden in ihrer Sommeruniform einfach zu kalt.

Gedenktafel am Friedländer Tor Neubrandenburg.
Irreführend ist die Bezeichnung des Materials der Gedenktafel am Friedländer Tor. Sie ist aus Belgisch Granit, einem Kalkstein.
Gedenktafel am Hotel Jahnke Rostocker Stra0ße Neubrandenburg
In der Denkmalliste der Stadt und einem Info-Flyer vergessen, die Gedenktafel am Hotel Jahnke in der Rostocker Straße.

Der schottische Clanführer Sir Donald Mackay of Far, stellte 1626 ein Regiment Fußsoldaten auf, das ab 1629 für Schwedenkönig Gustav II. Adolf kämpfte. und auch an der Verteidigung Neubrandenburgs 1631 beteiigt war.
Der schottische Clanführer Sir Donald Mackay of Far, stellte 1626 ein Regiment Fußsoldaten auf, das ab 1629 für Schwedenkönig Gustav II. Adolf kämpfte. und auch an der Verteidigung Neubrandenburgs 1631 beteiigt war.

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Kommentare: 1
  • #1

    nordlicht_45 (Samstag, 06 März 2021 12:51)

    Wem sollte man hier gedenken, als den niedergemetzelten Bürgern dieser Stadt und denen, die Neubrandenburg in erster Linie verteidigt haben? Auch der Schweden, die zwar in Frankfurt für die Willkür in Neubrandenburg Rache genommen haben. Bedarf es mit der Wiedereroberung der Stadt, keiner größeren Erinnerung.