Keine Hochhäuser am Oberbach

Blick in die Rostocker Straße
Nur noch wenig blieb von Albaubestand des 20. Jahrhunderts in der Rostocker Straße erhalten, darunter mein Geburtshaus, die Rostocker Straße 30, das schöne Haus mit Balkon.

Neubrandenburger erzwingen moderate Baupläne

Plan Wohngebiet Rostocker Staße
Für mehr als 3000 Einwohner war das Wohngebiet Rostocker Straße ausgelegt. Bis fast an den See sollten Punkthochhäuser entstehen.

Neubrandenburg. Zusammen mit der alten Schlachthofvilla erinnern nur noch ein halbes Dutzend Wohnhäuser stadtauswärts und die 1993 restaurierte St. Georgs-Kapelle an das Bild der alten Rostocker Straße.  Als über Woggersin nach (Alten-)Treptow führenden Damm gab es den Weg entlang der bereits 1415 erwähnten Hopfenburg bereits im Mittelalter. Bebaut wurde er allerdings erst nachdem die Stadt 1870 dem Bürger-Hospital-Verein vertraglich St. Georg überließ. Nachdem sich heute an Stelle von Büngers Garten, ein 1875 erstmals erwähntes Ausflugslokal am Treptower Damm, das Hotel Jahnke erhebt, dürfte die Villa des Schlachthofdirektors aus dem Jahr 1898 das älteste Haus vor Ort sein. Die Moncke-Villa wurde kurz nach 1900 durch Mauermeister Ringel und Zimmermeister Seegert gebaut, kurz bevor aus dem Treptower Damm 1906 die Rostocker Straße wurde. Die 2012 restaurierte Nummer 30 wurde als Wohnhaus mit Schmuckfassade zur Straßenseite und Fachwerkwand zum Hof in den 1920er-Jahren gebaut.

In diesem Zeitraum zwischen der Jahrhundertwende und den Goldenen Zwanziger Jahren dürfte auch die Bebauung auf der gegenüberliegenden Straßenseite entstanden sein. Sie erstreckte sich zwischen einem nach Broda führenden unbefestigten Weg, der damaligen Brodaer Straße, und einer Gärtnerei sowie zwischen derselben und dem St. Georg-Areal.

Nachdem es 1977 erste Gespräche zwischen Johannes Chemnitzer als 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED und Margot Honecker als Ministerin für Volksbildung zur Gründung einer akademischen Ausbildungsstätte für Lehrer in Neubrandenburg gab und das Sekretariat der SED-Bezirksleitung am 17. August 1978 einen Beschuss zur Errichtung einer Pädagogischen Hochschule fasste und auch Überlegungen zur Ansiedlung einer landwirtschaftlichen Hochschule angestellt wurden, rückte eine Neugestaltung der Rostocker Straße ins planerische Blickfeld.

Die Erschließungsarbeiten für ein Wohngebiet vor dem Treptower Tor würden sich mit Blick auf die klammen Kassen der Republik auf ein Minimum belaufen, da die Fernwärmeversorgung gesichert wäre und mit der Rostocker Straße ja auch eine zentrale Verkehrsanbindung vorhanden war, selbst wenn diese teilweise verlegt werden müsste.

Nachdem man Anfang der 1980er Jahre eine Reihe von Bedenken aus dem Weg räumte, wurden 1984/85 vorbereitende Maßnahmen für den Hochschulbau getroffen. Der begann 1986. Nur aufgrund der direkten Protektion Margot Honeckers wurde es möglich, Baukapazitäten anderenorts in der DDR abzuerziehen und auf den Bau der neuen Hochschule zu konzentrieren. Um Plantreue zu verkünden, wurde im Herbst 1988 erst das Institut für Lehrerbildung eröffnet, eine aus Templin nach Neubrandenburg verlegte Ausbildungsstätte für Unterstufenpädagogen. Ein Jahr später folgte bei einem Besuch der „Miss Bildung“, wie die Ministerin im Volksmund auch genannt wurde, im gleichen Haus die Hochschuleröffnung.

Während in der neuen Hochschule auf die Erfolge der DDR und ihrer Bildungspolitik angestoßen wurde, regte sich vor der Tür erster Bürgerprotest gegen die Bebauungspläne am Oberbach. Die Neubrandenburger schimpften ob der geplanten Senkung des Grundwasserspiegels , des  vorgesehenen Bodenaustausches im Bereich der Bleicherwiesen, die Fällung der alten Straßenbäume, die viel zu enge Bebauung mit viel zu hohen Häusern und den wenig sensiblen Umgang mit dem Denkmal St. Georg.

Bis an den Tollensesee und den Gätenbach sollten elfgeschossige Punkthochhäuser entstehen.

Dass diese Pläne keineswegs dem Willen der Neubrandenburger entsprachen, äußerte sich unter anderem in einer Stadtverordnetenversammlung Neubrandenburgs 1989, bei der eine Beschlussvorlage zur Rostocker Straße zum Durchwinken auf der Tagesordnung stand. Die Stadtverordnetenversammlung war plötzlich nicht mehr beschlussfähig. Ausdruck des Widerstandes war auch eine zunächst erfolglose Unterschriftenaktion.

Die „Freie Erde“ berichtete am 1. April 1989 – nicht als Aprilscherz, dass  noch im 40. Jahr der DDR die ersten 84 Wohnungen fertig sein sollen. Und obwohl erst im Oktober der Grundstein gelegt werden konnte, hielt man am Termin der Übergabe fest, wie ein Zeitungsbericht über das Ereignis am 10. Oktober unterstrich.

Stadtarchitektin Iris Dullin-Grund hatte sich laut Zeitungsbericht vom 26. Januar 1989 gegen eine Überarbeitung der Pläne gewehrt und sich „generell auf die auflagenlose Bestätigung des Wohngebiets durch das Ministerium für Bauwesen“ berufen und darüber hinaus Anfang April auf einer Veranstaltung des Kulturbundes am Stadtmodell sogar den Erhalt des zum Abriss bestimmten Altbaubestandes versprochen, doch mit den politischen Herbststürmen änderten sich die Verhältnisse. Ausdruck dafür ist die Verweigerung der Denkmalpflege von Anfang Dezember 1989 für die Baupläne entlang der Rostocker Straße. Die wurden dann auch Thema am Runden Tisch. Nachdem der am 29. Dezember 1989 über die dort vereinbarten Ergebnisse bezüglich der Rostocker Straße berichtet hatte, wurde das Bauvorhaben völlig überarbeitet.

Die Betonklötze der Neubrandenburger Stadtarchitektin wuchsen so nur bis ins sechste Geschoss wuchsen und in Seenähe verzichtete man ersatzlos auf die vorgesehenen Punkthochhäuser. Mit den veränderten Planungen entstanden weniger Wohnungen als ursprünglich geplant. Bei 1150 vorgesehenen Wohnungen hätten ursprünglich mehr als 3000 Neubrandenburger zwischen Oberbach und Rostocker Straße ein Zuhause gefunden.  1992 wohnten dort aber nur 2159 Menschen. Anfang vergangenen Jahres waren es 1937.

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