Erstes Fitnesstudio entstand vor 120 Jahren im Schauspielhaus

Neubrandenburg. Auf dem Areal des von der Stadtmauer, der Behmen-, Pfaffen- und Stargarder Straße begrenzten und um 1305 errichteten Mecklenburger Fürstenhofes stehen noch
heute zwei Gebäude mit herrschaftlicher Vergangenheit. Es sind der ehemalige Marstall der Sommerresidenz von Herzog Adolph Friedrich IV. von Mecklenburg-Strelitz und sein etwa 10 Jahre später
errichtetes Schauspielhaus.
Der Neubrandenburger Stadtchronist Franz Boll gibt in seiner 1875 erschienen „Chronik der Vorstadt Neubrandenburg“ auf Seite 244 an, dass „1781 der Marstall aufgeführt“ wurde. Alle anderen
Chronisten, darunter Bürgermeister Wilhelm Karl Georg Ahlers und Schuldirektor Rat Dr. Karl Wendt, übernahmen das bin in heutige Tage widerspruchslos.
Dem gegenüber stehen aber die im Stadtarchiv aufbewahrten Ratsprotokolle. Ihnen zu Folge wurden Ende 1781 die Altermänner und Wiekhaushauptleute durch den Neubrandenburger Rat davon
unterrichtet, dass „Serenissimus die Absicht hege, zu seiner Bequemlichkeit während des Sommeraufenthaltes sich hier einen Marstall und eine Remise zu errichten“. Ursprünglich hätte er Wunsch
geäußert, ihm dafür den wüsten Kirchhof an der heutigen Poststraße zu überlassen. Von diesem Begehren, so der Rat, hätte der Herzog allerdings wieder Abstand genommen und den Platz neben und
hinter dem Komödienhaus gewählt. Der sei ihm vom Rat auch zugestanden worden.
In dem Zusammenhang mit der „Bauanfrage“ hatte der Herzog auch den Wunsch geäußert, dass man „zur Unterstützung und Erleichterung des wichtigen Baus von Seiten der Stadt die erforderlichen
kleinen Fuhren übernehmen“ möge. Da man Wunsch schlecht hätte abschlagen können, die Fuhren aber für die Bürger mit mancherlei Unbequemlichkeit verknüpft gewesen wären, machte der Rat den
Vorschlag, dem Herzog statt der Fahrdienste besser 100 Reichstaler anzubieten.
Ferner wurde den Altermännern und Wiekhaushauptleuten mitgeteilt, dass von Seiten des Hofes bereits die erforderlichen Bauzeichnungen vorgelegt worden seien.
Zwei Sachen darf man annehmen:
Der Marstall samt Wagenremise wurde nicht 1781, sondern erst 1782 gebaut.
In der Pfaffenstraße gab es 1781 bereits ein Komödienhaus.
„Komödienhaus“ gehörte erst dem Bürgermeister
Bürgermeister Ahlers nennt es in seinen 1876 erschienenen „Historisch topographischen Skizzen aus der Vorzeit der Vorderstadt Neubrandenburg“ auf Seite 146 „das weiße Haus“ bzw. „das
Drühlen-Haus“.
1633 hatte Bürgermeister Dr. Johannes Schultze das Haus von seinem Bruder Hans Schultze aus Pieversdorf gekauft. Als 1638 die Pest in Neubrandenburg wütete, errichteten der Bürgermeister und
seine Frau Elisabeth, geborene von Manteufel, am 18. Juli ihr Testament und empfingen den Notar nebst sieben Zeugen „um Vermeidung der Infektion willen, auf der Gasse bei einem dahin gesetzten
Tische und Banken“. Sie vermachten das Haus der Klosterkirche, das heißt der Johanniskirche. Das Haus solle adligen Witwen „um ein Billiges“ vermietet werden. Festgelegt wurde weiterhin, dass die
Namen und Wappen der beiden Testatoren auf Fenstern, Kaminen und am Torbogen erhalten bleiben und das Haus in Erinnerung an sie „Schulten-Haus“ genannt werden sollte.
Nachdem Bürgermeister Dr. Schultze gestorben war, wie auch seine Kinder, heiratete seine Witwe den Regimentsquartiermeister Christian Drühlen, den sie testamentarisch zum Erben einsetzte. Nach
dessen Tod kam das Haus dann an den Neubrandenburger Rat als Patron der Johanniskirche.
Dafür hätte die Zustimmung des Mecklenburg-Strelitzer Herzogs als Landesherrn eingeholt werden müssen. Das Haus stand auf dem Areal des einstigen Mecklenburger Fürstenhofes und war somit nicht
städtischem Recht unterworfen, sondern Fürstenrecht. Da die Zustimmung zuvor aber nicht eingeholt war, sondern der Rat es im Nachhinein versuchte, erklärte Herzog Adolph Friedrich II. von
Mecklenburg-Strelitz mittels eines Reskripts, das heißt einer Rückantwort auf ein Gesuch hin, dem Neubrandenburger Rat sein Recht an dem Haus als verlustig. Gegen Erstattung des Kaufschillings,
das heißt es Kaufpreises, und der Meliorationskosten.
Allerdings scheint die Rückabwicklung nicht vollzogen worden zu sein, denn aus einem Ratsprotokoll von 1753 geht hervor, dass das Drühlen-Haus noch im Eigentum der Stadt war, nachdem es 1737 dem
großen Stadtbrand zum Opfer fiel, aber wieder aufgebaut worden war. Wann das von der Johanniskirche als Pfarrwitwenhaus genutzte Gebäude in herzoglichen Besitz überging, ist nicht überliefert. Es
dürfte aber nach der Erhebung Neubrandenburgs zur herzoglichen Sommerresidenz 1775 gewesen sein. Stadtchronist Franz Boll hält in seiner Chronik fest, dass „Ende der siebziger Jahre das
Schauspielhaus erbaut wurde“. Sehr wahrscheinlich ist zu diesem Zeitpunkt das Drühlen-Haus als „Comödienhaus“ um- und ausgebaut bzw. eingerichtet worden. Das Gebäude muss über einen ausreichend
großen Saal für das Spiel des rund 25 Mitglieder umfassenden Hoftheaters verfügt haben.
Die Situation dürfte bis 1787 Bestand gehabt haben, da erst in diesem Jahr die Anfrage des Herzogs wegen „Vergrößerung und Hervorrückung des Schauspielhauses“ in den Ratsprotokollen überliefert
ist. 1793 hatte der Herzog dafür das dem Hofrat Bürgermeister Wulfleff gehörendes Grundstück in der Pfaffenstraße/Ecke Behmenstraße sowie eine daneben liegende wüste Stelle, die der
Neubrandenburger Kämmerei gehörte, ins Auge gefasst. Die noch heute anzutreffende Lage des Schauspielhauses zeigt, dass sich der Herzog gegen die Bedenken der Stadt durchgesetzt hat und sein
Schauspielhaus nicht in einer Flucht mit den Nachbargebäuden setzte. Die Fertigstellung des Umbaus und der Vergrößerung des Hauses ein Jahr später, die dazu dienen sollten, einen Redouten- und
Assemblee-Saal zu schaffen, erlebte der Dörchläuchting jedoch nicht mehr.
Herzogliches Schauspelhaus war ein Ladenhüter
Am 3. Juni 1794 starb Herzog Adolph Friedrich IV. im Alter von 57 Jahren an einem Schlaganfall.
Für gut 100 Jahre wurde es still um Schauspielhaus und Marstall. 1890 schrieb das Hofmarschallamt in Neustrelitz das Schauspielhaus zusammen mit dem inzwischen großherzoglichen Marstall zum
Verkauf aus. Im „Allgemeinen Mecklenburger Anzeiger“ erschien mit dem Datum vom 21. April folgende Annonce: „In der Stadt Neubrandenburg, Knotenpunkt verschiedener Eisenbahnen, soll ein großes,
im Großherzoglichen Besitze befindliches, demnächst zu Stadtrecht zu legendes Grundstück mit sämtlichen darauf stehenden Gebäuden (Theater, Marstall für 50 bis 60 Pferde, Reitbahn, Remisen,
Wohnhaus für den Stallmeister), Gärten ec. und einem Gesamt-Flächeninhalt von circa 3600 qm zum Verkauf gestellt werden.
Der Verkauf soll im Ganzen oder aber geteilt in vier Parzellen erfolgen. Die Verkaufsbedingungen sind bei dem großherzoglichen Kastellan C. Bengelsdorff in Neubrandenburg einzusehen, von welchem
auch schriftliche Preisangebote bis zum 1. Juni dieses Jahres versiegelt entgegen genommen werden.“
Doch erst vier Jahre später fand sich mit dem Neubrandenburger Medizinalrat Dr. Ludwig August Ernst Mercker ein Käufer. In den Akten des Mecklenburgischen Landeshauptarchivs in Schwerin
Reparaturen am Schauspielhaus betreffend, heißt es unter dem 12. Juni 1894: „Schauspielhaus, Marstall und Gärten ach einem Angebot von 24.000 Mark eines Dr. Mercker in Anbetracht des
gemeinnützigen Zweckes“ für den Verkauf genehmigt. Weiter erging folgender Bescheid: „Dem Großherzoglichen Hofbauamt hierselbst wird der an den Hofmarschall Grafen zu Schwerin gerichtete Vortrag
des Dr. Mercker in Neubrandenburg vom 4. d. M. betreffend käuflicher Überlassung des Großherzogl. Theaters zu Neubrandenburg hieneben mit der Auflage zugestellt, den Antragsteller dahin zu
bescheiden, daß in Anbetracht des gemeinnützigen Zweckes es von seiner Königl. Hoheit dem Großherzog ermächtigt worden sei, das betreffende Grundstück ihm, dem Dr. Mercker für die gebotene Summe
von 24.000 Mark unter der Bedingung, daß dieselbe bei der Übergabe ausgezahlt werde, zu überlassen. Neustrelitz, den 12. Juni 1894 Grooßherzogl. Mecklenb., Landesregierung, v. Dewitz“
Ludwig August Ernst Mercker – Louis wie sein Vater ihn zu nennen pflegte – war der Sohn des Fritz-Reuter-Freundes und Uhrmachers August Mercker. Im Alter von 21 Jahren war er 1861 nach Würzburg
gegangen, um Medizin zu studieren. Am 27. April 1866 promovierte er mit einem Thema aus dem Bereich der Gynäkologie in Berlin. Ein Jahr später, erhielt er am 17. April 1867 die
Niederlassungserlaubnis für eine Praxis in Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe im Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz.
Ludwig Mercker richtete im Schauspielhaus ein Medico-mechnisches Institut mit 22 Betten ein. Im Zuge des Verkaufs durch das Neustrelitzer Hofarschallamt an Dr. Merker kam das Grundstück
unter städtisches Recht und verlor seine auf fürstlichem Recht beruhende Sonderstellung.
Institut ist einer Großstadt würdig
In „Mecklenburgs Perle, Neubrandenburg“, 1895 von Erika Weber herausgegeben, heißt es: „Die Anlage ist einer Großstadt würdig. Die Aufgabe des Instituts besteht in der sorgfältigen kunstgemäßen
Nachbehandlung Unfallverletzter, chronischer als auch akuter Krankheiten als: Erkrankungen der Nerven, des Herzens, der Muskeln und Sehnen, der Atmungs- und Verdauungsorgane, allg.
Constitutionsanomalien, Neurasthenie, Hysterien, Nervosität, Fettheit… etc. Patienten finden zu jeder Zeit Aufnahme, ausgeschlossen von der Behandlung sind an Rückratsverkrümmungen höheren Grades
leidende, sowie Geisteskranke.“
Behandelt wurde mit Apparaten nach den Methoden des schwedischen Arztes und Physiotherapeuten Dr. Gustav Zander aus Stockholm. Zander entwickelte in den 1850er Jahren ein System heilgymnastischer
Geräte und die Medico-mechnische Therapie und wurde damit zum Vorbild für heutige apparategestützte Trainingsthepapien. Er ist als ein Begründer der modernen Sport- und Wellnessmedizin
anerkannt. Durch die Folgen des Ersten Weltkrieges in Vergessenheit geraten, erfährt die von Dr. Gustav Zander entwickelte und von Dr. Ludwig Mercker umgesetzte Medico-mechanische
Therapie heute wieder eine Wiederbelebung in modernen Fitnessstudios.
Hintergrund für die Einrichtung des Instituts mit den physiotherapeutischen Behandlungen in Neubrandenburg war die unter Bismarck eigeführte Sozial- und Rentenversicherung. Sie ermöglichte es
Unfallverletzten mit Unterstützung der Berufsgenossenschaften, sich durch Rehabilitation wieder arbeitsfähig pflegen zu lassen.
Neben der kassenfinanzierten Behandlung bot Mercker seine Dienste auch für Kurpatienten an, die sich in den Villenkolonien in der Schwedenstraße bzw. am Augustabad oder in einem städtischen Hotel
einquartierten. Schwedenstraße und Augustabad waren gerade als exklusive Wohnadressen im Bau.
Der Preis für die Verpflegung betrug täglich 3,50 Mark, 3 Mark für die Berufsgenossenschaft. 1899 wurden 120 männliche und 25 weibliche Kranke behandelt. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer
betrug 37 Tage.
Dr. Ludwig Mercker baute das Schauspielhaus für seine Zwecke um. Die Saalfenster zur Pfaffenstraße wurden um zwei Joche herabgesetzt. Im Vormaligen Garderoben- und Bühnentrakt richtete sich der
Mediziner seine Praxis und seine Wohnung ein. Dabei erhielt das Haus einen auffälligen Erkeranbau, der fast 100 Jahre das Bild des Hauses bestimmte und dessen Rückbau während der Sanierung des
Schauspielhauses von 1990 bis 1994 mit Hilfe des Landes Schleswig-Holsteins die Gemüter in Neubrandenburg erhitzte.
Mit dem Medico-mechanischen Institut erfuhr das Schauspielhaus aber nicht seine erste und letzte medizinische Nutzung. Sowohl während des deutsch-französischen Krieges 1870 – 1871 als auch im
Zweiten Weltkrieg wurde dort ein Lazarett eingerichtet. Nach Dr. Mercker führte Dr. med. Julius Fischer das Medico-mechnisches Institut, das im „Einwohnerbuch für die Vorderstadt Neubrandenburg“
von 1936/37 als „Anstalt für Licht-, Röntgen- und physikalische Behandlung“ geführt wurde. Aus dieser Zeit blieben Teile einzelner Apparaturen erhalten, die heute einen Platz im Fundus des
Regionalmuseums haben.
In DDR-Zeiten war das Schauspielhaus unter anderem Heimstatt für eine Vulkanisierwerkstatt, eine Motorradwerkstatt, eine Schneiderei der PGH „Modische Linie“, eine Kürschnerei des
Dienstleistungskombinates sowie zeitweise auch Gemeindesaal. Als Versammlungsort hat das Schauspielhaus auch während der bürgerlichen Revolution 1848/1849 gedient.
Heute ist das Schauspielhaus Spielstätte für die Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz mit modernster Bühnentechnik und bietet 180 Zuschauern Platz.
So wie das Schauspielhaus 1990 den 1894 angebauten Erker verlor, so verlor auch der Marstall im Laufe seiner Nutzung das Zwerchhaus und die Gauben, die ihn zur Zeit seiner Erbauung zierten. Eine
zeitgenössische Abbildung, die nach 1794, wahrscheinlich um 1800 entstanden ist, zeigt neben dem Zwerchhaus vier Gauben in der zur Behmenstraße verlaufenden Dachfront.
Reichsgottesarbeiter wird 1926 Hausherr im Marstall
Ob der Marstall bis zum Ende der Monarchie in Mecklenburg-Strelitz tatsächlich im Großherzoglichen Besitz blieb und erst 1919 im Zug der Auseinandersetzung des Freistaates
Mecklenburg-Strelitz mit den Erben von Großherzog Adolph Friedrich VI., der sich im Februar 1918 das Leben genommen hatte, in städtischen Besitz kam oder ob Dr. Mercker bzw. sein Nachfolger Dr.
Fischer das dreiflügelige Gebäude aus dem 18. Jahrhundert der Stadt verkauften, müssten weitere Nachforschungen versuchen herauszufinden.
1926 wurde jedenfalls das im Stadteigentum befindliche Gebäude an den in Güstrow wohnenden Missionsinspektor August Dallmeyer verkauft. Er erwarb es für den Mecklenburgischen
Gemeinschaftsverband, der noch heute innerhalb der Evangelisch Lutherischen Landeskirche ein eigenständiger Verein ist.
August Dallmeyer, Sohn eines Landbriefträgers, wuchs mit acht Geschwistern in Bordesholm in Schleswig-Holstein auf, gehörte mit seinem Bruder Heinrich in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts zu den schillerndsten Protagonisten einer wild wuchernden religiösen Subkultur. August Dallmeyer, ein prominenter Führer der Gemeinschaftsbewegung, in den 1920er Jahren auch
Vorsitzender des Reichsgottesarbeiterverbandes, war ursprünglich staatstreu und national gesinnt. 1931 lieferte er ein Beispiel politischer Nativität. In einem Brief wandte er sich an
Hitler persönlich mit der Bitte um Klarstellung seines Verhältnisses zum biblischen Christentum. Die beruhigende Antwort veröffentlichte er in der Zeitschrift „Reichsgottesarbeiter, dem
berufsständischen Organ der seminaristisch ausgebildeten Evangelisten, Prediger und Gemeinschaftspfleger: „Die Deutsche Gemeinschaftsbewegung wird von Seiten einer nationalsozialistischen
Regierung Verständnis für ihre religiöse Lage finden." Später wurde aus August Dallmeyer ein glühender Verfechter des Nationalsozialismus: „Die nationale Erhebung ist da, sie marschiert, sie
wächst, schwillt an bis zur Übermacht: Und ich sage kühn; Gott will es – und weil er es will, bin ich dabei.“
Bis Ende 2010 war ein Teil des Marstalls Zuhause der Landeskirchlichen Gemeinschaft. Es fanden dort Gottesdienste, Kinder- und Jugendbibelstunden, Treffen von Suchtgefährdeten und Konferenzen
statt. Es war ein Ort der Begegnung für viele Menschen. Heute gehört der komplette Marstall der Familie Them, die ihn behutsam saniert und wieder zu einem Ort der menschlichen Begegnungen mit
Musik, Kultur, Geschichte und mehr macht.
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