In einer Nacht 24 Frauen vergewaltigt

Neubrandenburg. Ein Trümmerhaufen symbolisiert im Obergeschoss der neuen Museumsausstellung im Franziskanerkloster das Kriegsende 1945 in Neubrandenburg.
Die Innenstadt lag im Mai 45 zu mehr als 80 Prozent in Schutt und Asche. Viele Befreier kosteten ihren Sieg aus. Am 12. Juni beschwerten sich z. B. Anna Dörnbrack und Lotte Woitschak aus Monckeshof, dass seit zehn Tagen abends betrunkene sowjetische Offiziere auf Gut kämen und die Frauen belästigten. Am 29. Juni informierte der Bürgermeister den Kommandanten, dass allein im Quartier 5 in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni 24 Frauen vergewaltigt worden waren.
Für die mit dem Kriegsende die Stadt überschwemmenden Flüchtlingsströme musste das städtische Bauamt, das Mitte Mai seine Arbeit aufgenommen hatte, die Baracken des vormaligen Zwangsarbeiterlager West der Mechanischen Werkstätten einrichteten, das im nördlichen Vorgelviertel lag. Daneben ging es an die Beseitigung und Zerstörung von Kampfanlagen, Panzersperren, Splitterschutzgräben oder die Ausbesserung von Straßen, z. B. von 100 Quadratmeter Pflaster, die ein Panzer an der Kreuzung Thälmannstraße/Treptower Straße zerstört hatte. Dazu kam die Wiederingangsetzung der Kanalisation, deren Unterhalt immer schwerer wurde, da neben Pumpen und Membranen in der Kläranlage auch Schläuche und Werkzeug zur Reinigung der verstopfen Kanäle fehlten. Zu den Aufgaben des Stadtbauamtes gehörte bis 1949 auch die Instandsetzung und Unterhaltung der von der Roten Armee besetzten Büro- und Wohngebäude, die Neuanlage und Unterhaltung von drei sowjetischen Friedhöfen, die Einfassung der dortigen Gräber mit Betonwerksteinen und die Herrichtung von Denkmälern. Außerdem hatte das Amt Handwerker für die Instandsetzung privaten Wohnraumes zu vermitteln die wenigen zur Verfügung stehenden Baumaterialien zu verteilen. Unmittelbar nach dem Krieg gab es Nichts, was nicht fehlte. In erster Linie Holz für Tischlerarbeiten, Nägel, Beschläge, Fensterglas. „Dieser Mangel“, heißt es in einem Bericht vom 17. Oktober 1945, „ist bis zum heutigen Tage noch nicht beseitigt, trotzdem hier ansässige Firmen sowie auch das Bauamt alle erforderlichen Schritte zur Beschaffung von Baumaterialien unternommen haben. Es ist vorauszusehen, dass diese Aktion […] nicht den gewünschten Erfolg haben wird und die Wiederherstellung der durch Kriegseinwirkung zerstörten Gebäude noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird.“ Dass sich der Zustand noch verschärfen würde, konnte der Verfasser des Berichts da nicht ahnen.
Die Innenstadt wird erst ab 1946 aufgeräumt
Nachdem die Stadt 1945 von der Landesregierung 300.000 Markt für Aufräumungsarbeiten erhalten hat, wurde die Enttrümmerung eingeleitet. Das begann mit der teilweisen Räumung des Pferdemarktes. Dann kamen 1946 das Rathaus und das Palais an die Reihe. Danach wurden die Häuser an der Johanniskirche, zwischen der Pontanus-und Darrenstraße, der Marktplatz (Block Zandering und Block Donitza) beräumt. Nachdem der Stadt weitere finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt worden waren, ging die Enttrümmerung planmäßig weiter. Bis Ende 1948 waren 24.800 Quadratmeter Grundstücksfläche enttrümmert. Dabei waren 955.000 brauchbare ganze Mauersteine, 1400 Kubikmeter halbe Steine, 99,5 Tonnen Eisenträger gewonnen und in erster Linie für die Umsetzung des Befehls 209, des Neubauernbauprogramms, zur Verfügung gestellt worden. Was an Steine dort nicht benötigt wurde, konnte die Zivilbevölkerung gegen ein Entgelt für die Bergungskosten kaufen. Das war fast nichts. Darüber hinaus wurden 20.600 Kubikmeter unbrauchbaren Schutts abgefahren und einplaniert.
Sah der Befehl 209 der Sowjetischen Militäradministration für die vier zum Stadtbezirk Neubrandenburg gehörenden „Dorfgemeinden“ Küssow, Fritscheshof, Monckeshof und Carlshöhe ursprünglich nur den Bau von 12 Neubauernsiedlungen vor, waren bis 1948 insgesamt 36 Vorhaben in die Liste aufgenommen worden. Mitte 1948 waren davon 9 zu mehr als 75 Prozent fertig, 5 zu 50 bis 75 Prozent, 4 zu 25 bis 50 Prozent und 7 von ein bis 25 Prozent. In der Stadt selbst hemmte diese zentrale Anweisung der SMAD den Wiederaufbau. Nicht nur, dass das meiste bei der Enttrümmerung angefallene Baumaterial für das Neubauernbauprogramm zur Verfügung gestellt werden musste, fürs 1. Halbjahr 1948 mussten auch sämtliche Baufacharbeiter bei der Umsetzung des Befehls 209 Hand anlegen. Für Bauarbeiten im zivilen Sektor gab das Land nur 30 Kubikmeter Schnittholz und 13 Tonnen Schlämmkreide frei. Das Holz wurde für die Instandsetzung von Wohnraum verwendet, die Kreide in erster Linie für das Malern der Knabenschule in der Katharinenstraße (Fritz-Reuter-Schule), des Schlachthofs und des Krankenhauses.
Ende 1948 wurde Neubrandenburg dann aus der Verantwortung für das Neubauernbauprogramm entlassen. Die Verantwortung ging an das Kreisbauamt über.
Viehställe sind die ersten Nachkriegsbauten
Private Bautätigkeit setzte in Neubrandenburg Anfang 1946 wieder ein. 67 Baugenehmigungen erteilte das städtische Bauamt in jenem Jahr. Dabei handelte es sich in erster Linie um kleine Nebengebäude (Viehställe für die Kleintierhaltung), Änderungen in bestehenden Wohngebäuden, Läden- und Werkstatteinbauten bzw. die Errichtung von Kiosken. 1947 wurden 110 Baugenehmigungen erteilt. Im ersten Halbjahr 1948 waren es 63 Baugenehmigungen. Das städtische Bauamt schätzte die Bautätigkeit im zivilen Sektor aufgrund des großen Mangels an Baumaterial als äußerst gering ein.
Im Jahr der Republikgründung 1949 sah es noch nicht viel anders aus. Ganze 93 Baugenehmigungen wurden erteilt und wieder für Kleinigkeiten. Dazu wurden weitere 30.000 Quadratmeter enttrümmert, 1.453.000 Mauersteine, 947 Kubikmeter halbe Mauersteine und 57,5 Tonnen Trägermaterial geborgen sowie und 16.500 Kubikmeter Schutt abgefahren. Bewältigt wurde diese Aufgabe von durchschnittlich 80 bis 100 eingesetzten Frauen und Männern.
Das städtische Bauamt war aber trotzdem nicht untätig. Es machte Pläne für die Zukunft und hatte reichlich davon in der Schublade als das Land Mecklenburg-Vorpommern im November bekannt gab, 1950 Investitionskredite für den Wiederaufbau zerstörten Wohnraums ausreichen zu wollen. Seit dem 1. April 1949 hatte die Stadt im Außenbereich zerstörte Häuser aufgenommen, Kosten- und Materialberechnungen ausgearbeitet und Objekte geplant. Als der Startschuss gegeben wurde, konnte Neubrandenburg auf einen Schlag 100 Kreditanträge einreichen.
Mit einem eigenen Absatz ist im Bericht des Stadtbauamtes für 1949 auch eine wichtige Innenstadtbaumaßnahme erwähnt: „Um eine Gefahrenquelle für die Fußgänger beim Überschreiten der Fahrbahn beim Neuen Tor zu beseitigen wurde an der Südseite des Tores ein Mauerdurchbruch gemacht und durch Aufschütten von Boden ein Fußweg geschaffen. Hierbei musste das kleine Blumenhäuschen vor dem Tor um ca. 3 m zurückversetzt werden.“
Neubrandenburgs Innenstadt, hier ein Luftbild, das die von Albert Speer geleitete Generalbausinspektion 1943 machte, war nach dem Krieg zu mehr als 80 Prozent zerstört. Trotzdem entwickelten sich hier rasch wieder Handel und Gewerbe.
Polizei übernimmt Gewerbeanmeldung

Neubrandenburg. Rund 200 Gewerbetreibende gab es nach dem Krieg in Neubrandenburg. Einer Zählung vom 22. Juli 1945 zufolge gehörten dazu
20 Fahrgeschäfte
17 Maschinenreparaturwerkstätten
15 Lebensmittelgeschäfte
14 Schneidereien
13 Bäckereien
8 Gärtnereien
7 Friseure
6 Maler
6 Tischler
5 Baugeschäfte
5 Kohlenhandlungen
5 Schlachter
4 Sattler
4 Glaser
3 Schuhmacher
2 Dachdecker
2 Fischhandlungen
2 Klempner
2 Gemüsehandlungen
2 Töpfer
Bis Oktober 1945 erhöhte sich die Zahl der Gewerbetreibenden um 120. Wer ein Geschäft neu- oder wiedereröffnen wollte, musste dies bei der Polizei beantragen. Erst im April 1946 wurde die Gewerbeaufsicht aus der Verwaltung der Polizei herausgelöst und der Kreisverwaltung übertragen. Dortblieb sie bis Ende 1947.
„Zum 31.121947 übergab dann der Rat des Kreises Neubrandenburg die zu erfüllenden Aufgaben der Gewerbeaufsicht an die Verwaltung der Stadt zurück. Dies geschah zu der Zeit als die Teilung des Kreises Neustrelitz in die Kreise Neubrandenburg und Neustrelitz vorgenommen wurde“, heißt es in einem Rechenschaftsbericht der Gewerbeaufsicht für die Jahre 1945 bis 1948 vom 20. Dezember 1949. Verantwortlich war das neue städtische Amt u.a. für die Marktordnung, die Gesundheitsordnung, die Lebensmittelordnung, die Veterinärordnung einschließlich Schädlingsbekämpfung, die Schlachtvieh- und Fleischbeschau.
Erste Märkte gibt es ab 1949
Bis Ende 1948 hatte sich die Zahl der Gewerbetreibenden in Neubrandenburg auf rund 800 Betriebe erhöht. Ob jemand eine Gewerbeerlaubnis erhielt, entschied nicht, wie 1945/46 die Polizei oder später die amtliche Gewerbeaufsicht. Die Anträge wurden einem Gewerbeausschuss vorgelegt, dem Vertreter der Industrie- und Handelskammer, des FDGB, des Demokratischen Frauenbundes und der Gewerbeaufsicht angehörten. Der Gewerbeausschuss kontrollierte auch die genehmigten Unternehmen auch von Zeit zu Zeit.
Vier Mitarbeiter zählte die Gewerbeaufsicht Anfang 1949 in der Stadt. „Die einzelnen Sachgebiete werden von den 3 männlichen Angestellten bearbeitet, während die Stenotypistin alle in dr Abteilung vorkommenden schriftlichen Arbeiten, die zu führen notwendig sind, erledigt.“
Mit einem Erlass der Landesregierung vom 20 Oktober 1949 erhielt die Gewerbeaufsicht auch die Aufsicht über die Schulordnung und die Festsetzung bzw. Verlängerung des Gaststättenschluss.
„Täglich und ständig gehen noch Neuanträge und Gewerbeanmeldungen ein, die in vielen Fällen Ablehnung finden müssen, weil ein Bedürfnis für das Stadtgebiet Neubrandenburg nicht mehr vorliegt“, heißt es in einem weiteren Bericht vom 2. Januar 1950 für das gerade zu Ende gegangene Jahr der Republikgründung. Von den gut 800 Gewerbetreibenden Anfang 1949 zählten 323 zum Handwerk und 90 zum Lebensmittelhandel. Es gab in der Stadt u.a.
35 Lebensmittelgeschäfte
18 Bäckereien
8 Fleischer
7 Fischhandlungen
6 Milchhandlungen
2 Rossschlächter
2 Räuchereien.
Dazu kamen
50 Schneiderinnen
30 Schneider
44 Schuhmacher
23 Tischler
18 Friseure
16 Schlossereien
16 Maschinenreparaturwerkstätten
13 Uhrmacher
12
Maler
9 Maurer-
128 Gewerbetreibende verfügten über eigene Werkstätten bzw. Läden. Insgesamt stand in Neubrandenburg für diese eine Laden- und Werkstattfläche einschließlich Lagerräume von 9830 Quadratmeter zur Verfügung.
1949 war auch das Jahr, in dem es neben einem Frühjahrs-, Sommer- und Herbstmarkt auch erstmals wieder einen freien Markt gab. Der war zwar anfangs noch etwas schwach besucht – es gab erst nur Getreide, Mehl und Gemüse – doch als die Bauern ihr Ablieferungssoll erfüllt hatten und mit Fett, Fleisch und Öl auf den Markt kommen konnten, fand der Markt auch seinen Zuspruch. Insgesamt nahm die Gewerbeaufsicht 1949 Standgelder von 2850 Mark ein.
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