Am 4. Juli 2013 habe ich diesen Artikel nach Absprachen mit einer Redakteurin an die Altentreptower Lokalausgabe des Nordkurier geschickt. Am gestrigen 18. September wurde er dort auch veröffentlicht. Es war die bislang längste Wartezeit, die ein Beitrag von mir auf einem Redaktionsschreibtisch schlummerte.
Ich will den Lesern des Meckpress-Blogges nicht so lange warten lassen und poste ihn deshalb schon einen Tag nach seinem Erscheinen.
Wie sagte der österreichische Schriftsteller Karl Kraus einmal? "Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern."
Das Werk von drei bedeutenden Architekten

Pinnow. Gleich drei bedeutende Architekten des 19. Jahrhunderts, alle eingeschworene Vertreter der Neogotik, hinterließen ihre Spuren beim Bau des Pinnower Gutshauses in den 1860er Jahren. Das ergaben umfangreiche bauhistorische Recherchen, die die neuen Eigentümer des historisch wertvollen Hauses, Dr. Hans-Joachim Müller und seine Lebensgefährtin Dr. Caroline Grün, in Auftrag gaben. Neben dem Karbe-Wagner-Archiv in Neustrelitz führte die Spurensuche in die Stadtarchive von Neubrandenburg, Marburg, Köln und Hannover, in das Landeskirchliche und Landeshauptarchiv nach Schwerin, in das erzbischöfliche Archiv Köln, das Hessische Staatsarchiv, das Landesrarchiv Baden-Württemberg und das Generallandesarchiv Karlsruhe. Dazu kam Anfragen bei Regionalhistorikern, der Kirchengemeinde, Professoren der Hochschule Neubrandenburg und Hannover, Bibliotheksrecherchen und die Suche im alten Zeitungsarchiv des Nordkuriers. Am Ende stand fest, dass nicht der bislang favorisierte Kölner Diozösanbaumeister Heinrich Wiethase der Architekt des neogotischen Herrenhauses vor den Toren Neubrandenburgs ist, sondern neben ihm auch der Konsistorialbaumeister der Hannoverschen Landeskirche, Conrad Wilhelm Hase, und Prof. Carl Schäfer, Privatdozent an der Berliner Bauakademie und Lehrer an der Technischen Hochschule Karlsruhe zusammen mit dem zeichnerisch begabten Bauherren Friedrich von Klinggräff ihre Hände im Spiel hatten.
Friedrich von Klinggräff (1825 – 1887), 1848/49 mit einem Landtagsmandat für die konstituierende Abgeordnetenversammlung von Mecklenburg, Angehöriger des ersten frei gewählten Parlaments des Landes, war ein Anhänger nationalchristlicher Ideen, der sich an die Freiheit und Geisteskultur des Mittelalters orientierte. Der Senior des Heidelberger Corps Vandalia, dessen meiste Mitglieder aus dem Mecklenburger Adel und dem Hamburger Großbürgertum stammten, ging als Gründer des Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV), Dachverband der ältesten Studentenverbindungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, in die Geschichte ein. Noch heute zeichnen die Alten Herren der im KSCV organisierten Corps jährlich junge Akademiker mit der, die sich durch besondere Leistungen in Studium und Corpsaktivität sowie sozialer Arbeit hervorgetan haben, mit der Klinggräff-Medaille aus, die aktuell mit einer Prämie von 4000 Euro verbunden ist.
Friedrich von Klinggräff war von September bis November 1862 Gast der Familie Langwerth von Simmern in Eltville im Rheinland. Dort verlobte er sich am 24. September mit der Schwester seines Corpsbruders Heinrich Freiherr Langenwerth von Simmern. Gleich nach der Verlobung mit Ella, so hieß seine Auserwählte, beschloss er für seine zukünftige Familie ein „echt deutsches schlichtes frommes Haus“ zu bauen. Er hatte von der Gotik beeinflusste Vorstellungen, brauchte aber einen Architekten.
Mitte November 1862 fuhr Klinggräff nach Köln zum berühmten „Ideologen“ der Neogotik, dem Zentrumspolitiker August Reichensperger. Dieser schlug vor, Conrad Wilhelm Hase in Hannover zu konsultieren. Hase war ein Verfechter eines Bau- und Einrichtungsprogramms, das sich am idealisierten Mittealter orientierte. Umgehend reiste Klinggräff nach Hannover und verhandelte mit Hase. Vom 7. bis 12 Dezember 1862 hielt er sich erneut in Hannover auf, um sich mit Hase über den Bau zu besprechen. Am 23. Februar 1863 besuchte Klinggräff Hase ein drittes Mal.
Anfang April 1863 fand in Wichtringshausen, seit 1743 ein Rittergut der Freiherren Langwerth von Simmern am Rande der Region Hannover, eine Besprechung seines Freundes und künftigen Schwagers Heinrich mit dem Architekten Heinrich Wiethase statt, bei der auch Klinggräff anwesend war. Am 23. April 1863 notierte der Mecklenburger: „Der Plan zu meinem Haus kommt zu Ende.“ Kurz darauf wurde mit dem Bau in Pinnow begonnen. Doch der Bauherr war scheinbar nicht hundertprozentig zufrieden. Am 1. Juli zeichnete er selbst an den Plänen, wie dem 1891 postum veröffentlichten Briefwechsel mit Heinrich Langwerth von Simmern entnommen werden kann. Der Laie nahm Änderungen an den Zeichnungen des Profis vor. Hase war gezwungen, die Ideen und neuen Wünsche seines Auftraggebers mitten im Bauprozess aufzugreifen. Er setzte Carl Schäfer, einen Absolventen der Höheren Gewerbeschule Kassel, daran, der im September 1863 im Büro Hases beschäftigt war. Schäfer berücksichtigt die Vorgaben Friedrich von Klinggräffs, der am 23. Juli in Eltville geheiratet hatte und mit seiner Frau bis zum 14. September auf Hochzeitsreise gegangen war.
Am 24. Oktober 1863 zog Klinggräff mit seiner Frau nach Pinnow und richtete sich „notdürftig“ im ehemaligen Pächteraus ein. Um besser und schneller Einfluss auf die Baugestaltung zu nehmen, war Friedrich von Klinggräff bereit, auf der Baustelle zu wohnen.
Im Juni 1864 war der Neubau so weit fortgeschritten, dass Klinggräff sich notdürftig einrichten konnte. Einige Details Innen und Außenteile waren aber noch nicht fertig.
Nachdem Conrad Wilhelm Hase im Juli 1864 beim König von Hannover – übrigens ein Sohn der Mecklenburg-Strelitzer Prinzessin Friederike –in Ungnade fiel, wurde Hase auch der Auftrag für Pinnow entzogen. Hase, der im Auftrag des Königs die Marienburg bei Hannover baute, fiel den Intrigen des Oberbauleiters, Ingenieurmajor Witte, zum Opfer, der mehrfach Geld veruntreut hatte. Friedrich von Klinggräff entschied sich auf Anraten seines Schwagers Langwerth von Simmern, ebenso ein Neogotiker, Heinrich Wiethase mit der Fertigstellung des Hauses zu beauftragen.
1865 ließ Klinggräff die Bauarbeiten ruhen, da er sich mit seiner Frau auf Reisen begab und erst nach einem Jahr zurückkehrte. Zwischen 1866 und 1869 wurde das Haus dann endgültig fertig gestellt, vor allem im Innern.
Welche baulichen Ideen, abgesehen von einem kleinen Kellerraum mit Kreuzgewölbe für das zeremonielle Kneipen von Corpsbrüdern, auf Friedrich von Klinggräff selbst, auf Conrad Wilhelm Hase oder Heinrich Wiethase zurückzuführen sind, lässt sich heute nicht nachvollziehen. Eindeutig belegbar ist jedoch die Handschrift Carl Schäfers durch die spitze Satteldachform über die Haupteingang, die Gestaltung der zahlreichen Gauben und der Einsatz von viel Holz. Schäfers, dessen der später viele Villen, und eine Reihe von Gutshöfen baute, leitete auch den Wiederaufbau beiden Türme des Meißener Domes. Hase schuf über 100 Kirchen und restaurierte 150 Gotteshäuser. Und Wiethase baute 1882, das Vertrauen Klingsgräffs und des inzwischen Reichstagsabgeordneten Langwerth von Simmerns genießend, das Corpshaus der Vandalia-Studentenverbindung in Heidelberg.
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