Ein Blick(e) in die Wartlaustraße

Neubrandenburg. Der Spur der Steine lässt sich nur eingeschränkt verfolgen, will man in die Geschichte der Wartlaustraße abtauchen.
Ihre alten Häuser gingen mit dem Kriegsende 1945 in Rauch und Flammen auf und nahmen dabei die meisten Erinnerungen an das Alltagsleben ihrer Bewohner mit. Wer lebte dort? Wer hatte hier sein
Geschäft?
Das Erinnerungsvermögen der meisten Neubrandenburger reicht nicht viel weiter als in die DDR-Zeiten zurück, zumal der größte Teil der Straße zwischen 1955 und 1960 im Rahmen des zweiten
Fünfjahrplanes erbaut wurde. Vielen sicher noch ein Begriff ist der Salon der PGH „Modische Frisur“ oder „Lacke und Farben“, ein Konsum-Geschäft, das 1969 in den nördlichen Teil zog als für die
SED der „Kupferkessel“ am Ring gebaut wurde, ihre Bezirksparteischule. Nach der Wende siedelte sich dort für einige Zeit ein Beate-Uhse-Laden an. Und dem folgte die Hortbeteuung der Kita
"Blümenchen am Wall".
Erinnerungen anderer Art dürfte eine Reihe Mitfünziger haben, die damals in der POS I zur Schule gingen. Ihre Pionierfreundschaft stiftete die Gedenktafel für Hans Arno Eckelmann, genannt Harry,
der Rote Soldat. Am 6. Mai 1956 wurde sie feierlich enthüllt, genau 50 Jahre nach dem Tod des einstigen KPD-Funktionärs. Er hatte am 6. Mai 1924 an einer geheimen Beratung in der Neutorstraße
teilgenommen, war nach Verrat der Zusammenkunft verhaftet und durch die Wartlaustraße abgeführt worden. Hier entwickelte sich eine Situation in deren Folge „Harry“ durch den Schutzmann Pagel
angeschossen wurde. Drei Tage später verstarb der Kommunist im Krankenhaus in der Pfaffenstraße. Die Pionierfreundschaft der POS I erhielt ein Jahr nach ihrer Gedenktafelaktion den Namen
Eckelmanns.
Wesentlich jüngeren Datums sind die Auseinandersetzungen bezüglich der Neugestaltung der südlichen Wartlaustraße. Was die Planer wollten, mochten die meisten Anwohner nicht und umgekehrt. Gebaut
wurde trotzdem. Im September 2003 übergab der Oberbürgermeister den barrierefreien Abschnitt. Da zog auch die Citi-Bank in neue Geschäftsräume ein und die Boutique „Etwas Mode“. Zwei Jahre
später bekam die Straße, sowohl auf ihrer „neuen“ als auch auf ihrer „alten“ Seite je einen Taxistand, auf denen seitdem aber nur äußerst selten einer der gelben Mietwagen hält und auf Kundschaft
wartet.
Aufregend wie 2003 war auch das davor liegende Jahr 2002, jedenfalls auf der „alten“ Wartlau-Seite. Da verkaufte die Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft ein großes Wohnungspaket an den Martin
Seidowski. Darunter befanden sich auch die Aufgänge 1 bis 6. Längst sind die Modernisierungen abgeschlossen, die sich zum Teil sehr lange hinzogen und bei manchem Mieter viel Ärger auslösten.
Aber der Bauherr aus der Viertorestadt investierte immerhin auch elf Millionen Euro in die Rekonstruktion seines kompletten Wohnungspaketes. Und das ohne Fördermittel und das auch ohne dass einer
der 16 beteiligten Baubetriebe eine Firmenpleite erlebte. Vom 48-prozentigen Leerstand seiner Wohnungen beim Erwerb durch ihn ist heute längst keine Rede mehr. Die Wohnungen sind begehrt und
längst wieder eine gute Adresse in Neubrandenburg. Über die verfügen seit 2001 auch Stephan Wegner und Ronny Wilken. Sie eröffneten vor genau fünf Jahren ihren ersten „Einklang“-Shop. Inzwischen
gibt es weitere in Neustrelitz, Waren und Greifswald. Praktische Ergänzung erfuhr das Welt-Konzept der beiden jungen Unternehmer gerade im September als Wolfgang Lochmann im Nachbargeschäft
erstmals die Türen seines Teehauses „Jade“ aufschloss.
Wer tiefer in die alte Geschichte der Wartlaustraße eintauchen will, dem bleiben nur alte Adressbücher, Chroniken und Zeitungsnotizen. Aus einer vom 7. Januar 1903 geht hervor, dass am Abend zuvor der Töpfer Müller wegen des Verdachts der Brandstiftung im Haus des in der Wartlaustraße ansässigen Hofkammerjägers Jacobi verhaftet wurde. Der Mieter geriet in Verdacht, weil er einen erheblich hohen Entschädigungsanspruch bei der Versicherungsgesellschaft gestellt hatte, der in keinem Verhältnis zum erlittenen Schaden stand. Pech hatte am 9. September 1905 auch der Mühlenbesitzer Willert-Pressen, dem in der Wartlaustraße die Pferde durchgingen, obwohl sie abgesträngt waren. In der Neutorstraße rammten sie beim Haus des Kaufmanns Vize einen Laternenpfahl, ehe sie vom Kutscher des Medizinalrats Mercker, damaliger Besitzer des Schauspielhauses, zum Stehen gebracht werden konnten. Und wenn man bei Pech und Unglück ist, der Namenspatron der Wartlaustraße hatte auch kein Glück. Andreas Wartlau, der am Markt wohnte, war in der Mitte des 17. Jahrhunderts der erste von acht in der so genannten „Rats-Willkühr“ genannten Ratsverwandten. Er kam mit einem seiner Söhne am 20. Mai 1676 beim großen Stadtbrand ums Leben, als er dem Feuer Einhalt gebieten wollte. Dass eine Straße der Innenstadt, deren nördlicher Teil inzwischen als „kleiner Boulevard“ gilt, heute seinen Namen trägt, verdankt die Stadt ihrem früheren Bürgermeister Wilhelm Ahlers. Er sorgte, wie der Chronist Karl Wendt berichtet, dafür, dass die bis 1874 noch namenlosen Straßen der Innenstadt Bezeichnungen erhielten und gedachte damit verdienter Persönlichkeiten der Stadtgeschichte.
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